Der Knochenjäger
gefunden hatte, und sie ging sie Punkt für Punkt durch. Sachs nahm wahr, daß während ihres Vertrags ringsum hektisches Treiben herrschte - manche Agenten telefonierten, andere standen beisammen und flüsterten miteinander, manche machten sich Notizen. Doch als sie, mit einem Blick auf das Blatt, hinzufügte: »Und dann habe ich am letzten Tatort einen Fingerabdruck gesichert«, wurde es plötzlich mucksmäuschenstill. Sie blickte auf. Alle hatten ihr das Gesicht zugewandt, wirkten geradezu erschrocken - falls FBI-Agenten dazu in der Lage waren.
Hilflos blickte sie zu Dellray, der sie schief anschaute. »Wollen Sie damit etwa sagen, daß Sie einen Fingerabdruck haben?«
»Also, ja. Bei einer Rangelei mit dem letzten Opfer ist sein Handschuh runtergefallen, und als er ihn wieder aufgehoben hat, hat er offenbar den Boden berührt.«
»Wo ist er?« fragte Dellray schnell.
»Herrgott«, rief ein Agent. »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?«
»Tja, ich-«
»Los, suchen Sie ihn!« rief jemand anderer.
Rundum wurden Stimmen laut.
Mit zitternden Händen wühlte Sachs zwischen den Beweismitteltüten herum und reichte Dellray die Polaroidaufnahme vom Fingerabdruck. Er hielt ihn hoch, musterte ihn eingehend. Zeigte ihn jemand anderem, vermutlich einem Fingerabdruckexperten. »Gut«, erklärte der Agent. »Absolut brauchbar, Stufe A.«
Sachs wußte, daß Fingerabdrücke je nach ihrer Qualität in drei Kategorien unterteilt waren, A, B und C, wobei letztere von den meisten Justizbehörden wegen zu geringer Beweiskraft nicht anerkannt wurde. Doch stolz auf die von ihr gesicherte Spur konnte sie nicht sein; zu deutlich war das allgemeine Mißfallen darüber, daß sie ihren Fund nicht schon früher erwähnt hatte.
Dann geschah vieles gleichzeitig. Dellray reichte das Foto einem Agenten, der zu einem Computer in der anderen Ecke des Büros rannte und das Polaroid in ein großes Gerät mit einer geschwungenen Platte legte, einen sogenannten Opti-Scan. Ein anderer Agent schaltete den Computer an und gab etliche Befehle ein, während Dellray zum Telefon griff. Ungeduldig klopfte er mit dem Fuß auf den Boden und senkte dann den Kopf, als sich jemand meldete.
»Ginnie, Dellray hier. Ich weiß, daß es einen Riesenstunk gibt, aber du mußt sämtliche Anfragen an AFIS-Nordost abblocken. Das Ding, das ich dir gleich durchgebe, hat absoluten Vorrang... Perkins ist hier. Er gibt sein Okay, und wenn das nicht reicht, ruf ich den Mann in Washington höchstpersönlich an... Es geht um die UN-Sache.«
Sachs wußte, daß sämtliche Polizeidienststellen im ganzen Land auf das Automatische Fingerabdruck-Identifizierungs-System des FBI zurückgriffen. Dellray war gerade dabei, diesen ständigen Informationsaustausch lahmzulegen.
»Wir haben ihn im Scanner«, sagte der Agent am Computer. »Geben ihn jetzt durch.«
»Wie lange wird's dauern?«
»Zehn, fünfzehn Minuten.«
Dellray faltete die Hände. »Bitte, bitte, bitte.«
Rundum war der Teufel los. Sachs hörte, wie über Waffen gesprochen wurde, über Hubschrauber, Fahrzeuge, Verhandlungsspezialisten. Andere Agenten telefonierten, tippten an ihren Computern, rollten Karten auf, überprüften ihre Pistolen.
Perkins war am Telefon und sprach mit den Geiselbefreiungsspezialisten, vielleicht auch mit dem Direktor des FBI oder dem Bürgermeister. Vielleicht sogar mit dem Präsidenten. Wer konnte das schon wissen? »Ich hab' nicht gewußt, daß der Abdruck so wichtig ist«, sagte Sachs zu Dellray.
»So was ist immer wichtig. Jedenfalls seitdem es das AFIS gibt. Früher hat man die ganze Einstäuberei bloß aus Fez gemacht. Damit die Opfer und die Presse sehn, daß man irgendwas tut.«
»Sie machen wohl Witze.«
»Nee, ganz und gar nicht. Nehmen wir bloß mal New York City Wenn man jemanden blind sucht - das heißt, wenn man keinen Verdächtigen hat -, und man macht es per Hand, braucht man fünfzig Jahre, bis man alle Z-Karten durch hat. Ohne Blödsinn. Bei 'ner automatischen Suche dauert's 'ne Viertelstunde. Früher hat man 'nen Verdächtigen allenfalls in zwei, drei Prozent aller Fälle identifizieren können. Heutzutage liegen wir bei etwa zwanzig Prozent. O ja, Fingerabdrücke sind Gold wert. Hat Rhyme das nicht erwähnt?«
»Er hat's bestimmt gewußt.«
»Und hat nicht alle Hebel in Bewegung gesetzt? Mannomann, der Typ baut ab.«
»Hören Sie, Officer«, rief Perkins, während er die Hand über den Hörer hielt, »dürfte ich Sie darum bitten, daß Sie jetzt die
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