Der Knochenjäger
erwiderte Thom säuerlich. »Er ist sanftmütig.«
Er parkte dicht neben dem großen Abflußrohr. Als er aus dem Taxi stieg, roch er das faulig stinkende Wasser. Sie befanden sich in einer Sackgasse, die zu dem dicken Abwasserrohr führte, das vom West Side Highway bis zum Hudson River verlief. Hier konnte sie keiner sehen.
Der Knochensammler ging zur Rückseite des Taxis und musterte seinen betagten Gefangenen mit Wohlgefallen. Mit dem gleichen Genuß, mit dem er die junge, vor das Dampfrohr gefesselte Frau betrachtet hatte. Und die am Morgen neben den Bahngleisen aus dem Boden ragende Hand.
Er schaute ihm in die Augen, aus denen die nackte Angst sprach. Der Mann war dürrer, als er gedacht hatte. Grauer. Hatte zerzauste Haare.
Altes Fleisch, doch junge Knochen ...
Der Mann wich zurück und verschränkte abwehrend die Arme vor der schmalen Brust.
Der Knochensammler öffnete die Hintertür und drückte dem Mann die Pistole ans Brustbein.
»Bitte«, flüsterte der Gefangene mit bebender Stimme. »Ich habe nicht viel Geld, aber Sie können alles haben. Wir können zu einem Bankautomaten gehen. Ich -«
»Aussteigen.«
»Bitte, tun Sie mir nichts.«
Der Knochensammler unterstrich seine Aufforderung mit einer knappen Kopfbewegung. Der schmächtige Mann blickte sich unglücklich um, dann befolgte er den Befehl. Geduckt stand er neben dem Wagen, hatte noch immer die Arme verschränkt und zitterte trotz der gnadenlosen Hitze.
»Warum tun Sie das?«
Der Knochensammler trat zurück und tastete in seiner Hosentasche nach den Handschellen. Wegen der dicken Handschuhe dauerte es einen Moment, bis er die verchromten Kettenglieder fand. Als er sie herausholte, meinte er einen Viermaster zu sehen, der den Hudson hinauffuhr. Die Strömung war hier nicht so stark wie am East River, wo Segelschiffe nur mit größter Mühe von den Kais East, Montgomery oder Out Ward Wharf aus flußaufwärts fahren konnten. Er kniff die Augen zusammen. Nein, Moment - es war kein Segelboot, es war ein Kabinenkreuzer, auf dessen Vorderdeck Yuppies herumlungerten.
Als er dem Mann die Handschellen anlegen wollte, packte ihn dieser am Hemd und zerrte mit aller Kraft daran. »Bitte, ich wollte gerade ins Krankenhaus. Deswegen hab' ich Sie angehalten. Ich habe Schmerzen in der Brust.«
»Maul halten.«
Doch plötzlich streckte der Mann die mit Leberflecken übersäten Hände nach dem Gesicht des Knochensammlers aus, bekam ihn am Hals und an der Schulter zu fassen und drückte fest zu. Ein jäher Schmerz strahlte von der Stelle aus, wo sich die gelben Fingernägel in seine Haut gruben. Wütend riß er die Hände seines Opfers weg und fesselte sie.
Er zog ihm ein Stück Klebeband über den Mund und zerrte ihn über die Kiesböschung hinunter zu der Rohrmündung mit etwa einem Meter achtzig Durchmesser. Dort blieb er stehen und musterte den Mann.
Sollte ein leichtes sein, dich zu entbeinen, vom Fleisch zu befreien.
Bis auf die Knochen ... er wollte sie berühren. Sie hören.
Er hob die Hand seines Opfers. Der Mann starrte ihn mit entsetzten Augen an; seine Lippen zitterten. Der Knochensammler strich über die Finger des Opfers und betastete die einzelnen Glieder. Er wünschte, er könnte den Handschuh ausziehen, traute sich aber nicht. Dann hob er die Hand des Mannes noch ein Stück höher und drückte sie an sein Ohr.
»Was -«
Er legte die linke Hand um den kleinen Finger seines Opfers und bog ihn langsam nach hinten, bis der spröde Knochen mit einem dumpfen Knacken brach. Ein angenehmer Ton. Der Mann schrie auf, doch nur ein gedämpfter Laut drang durch das Klebeband. Dann sackte er zu Boden.
Der Knochensammler zog ihn wieder auf die Beine und führte den torkelnden Mann in das Rohr hinein. Er stieß ihn vorwärts.
Sie kamen unter dem alten, verfallenen Pier heraus. Es war ein widerwärtiger Ort, übersät mit den verwesenden Leibern toter Fische und anderer Tiere, dazu allerlei Müll und Abfälle. Die feuchten Steine waren mit einer graugrünen Algenschicht überzogen, und auf dem Wasser wiegte sich träge ein Büschel Seetang. Trotz der Hitze, die selbst zur Abendstunde noch über der Stadt hing, war es hier unten so kalt wie an einem Tag im März.
Senor Ortega...
Er stieß den Mann in den Fluß, fesselte ihn an einen Stützpfosten des Piers und überzeugte sich, daß die Handschellen eng anlagen. Das graue Gesicht seines Gefangenen befand sich noch knapp einen Meter über dem Wasserspiegel. Der Knochensammler ging vorsichtig über
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