Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
sondern nur Clifford Evans, einen einsamen Professor, den man in das Institut für Soziologie gesteckt hatte. Aber Evans war ein abenteuerlustiger Freilandforscher und anregender Lehrer. Er war kurz zuvor von Ausgrabungsarbeiten an einem prähistorischen Dorf in Brasilien zurückgekommen, und er machte die vorzeitlichen Bewohner in seinen Vorlesungen mit Dias und Erzählungen lebendig. Ich versäumte keine einzige Stunde bei ihm.
Als ich im Frühjahr 1956 an der University of Kentucky mein Examen in Anthropologie ablegte, berichtete ich Evans in einem Brief darüber. Ich glaubte, ich sei vielleicht sein einziger Student, der jemals einen Studienabschluss in Anthropologie gemacht hatte, und dachte, er würde sich über die Nachricht freuen. Er hatte aber mittlerweile die University of Virginia verlassen und eine Stelle als Kurator für Archäologie an der Smithsonian Institution angenommen.
Evans antwortete sofort auf meinen Brief. Er konnte sich noch gut an mich erinnern und erklärte, er sei froh über meine Fortschritte. Außerdem teilte er mir mit, die Smithsonian Institution brauche unbedingt Hilfe bei der Analyse der vielen Skelettfunde von amerikanischen Ureinwohnern, die sie aus den großen Ebenen des Mittelwestens erhielt. Er bot an, mir die Stelle zu verschaffen. Es war eine großartige Gelegenheit, und sie kam zu einem bemerkenswerten Zeitpunkt.
Der Auslöser für die Flut der Knochen war das U. S. Army Corps of Engineers. Man hatte diese Einheit geschaffen, um die überschwemmungsträchtigen Flüsse zu bändigen, und dieser Aufgabe widmete sie sich mit Nachdruck. Ende der vierziger Jahre hatten ihre Ingenieure den Mississippi zum größten Teil begradigt und mit Deichen versehen, und jetzt machten sie sich über andere Flüsse her. In den fünfziger Jahren arbeiteten sie sich am Missouri aufwärts.
Als sie in der Mitte von South Dakota ankamen, hatte ihre Tätigkeit bereits einen gewaltigen Umfang. Etwa zehn Kilometer stromaufwärts von der Stadt Pierre (die nicht wie der französische Vorname, sondern »Pier« ausgesprochen wird) türmten sie einen fast 80 Meter hohen und drei Kilometer langen Damm auf. Der Oahe-Damm, wie er nach einem Versammlungshaus der Sioux genannt wurde, war zu Beginn der Arbeiten 1948 der größte aufgeschüttete Erddamm der Vereinigten Staaten und ist es bis heute geblieben.
Entsprechend riesig war auch der Stausee, der hinter ihm entstand. Mit einer vorgesehenen Länge von 365 Kilometern und einer größten Breite von 32 Kilometern wurde der Lake Oahe zu einem der größten künstlichen Seen Nordamerikas. Er sollte viele hundert Quadratmeter der Prärie überfluten - und auch unzählige archäologische Stätten der amerikanischen Ureinwohner.
Das Corps of Engineers hatte einen Teil der Baukosten für archäologische Forschung und Ausgrabungen vorgesehen und mit der Smithsonian Institution einen Vertrag über die wissenschaftlichen Arbeiten geschlossen. Die dafür vorgesehenen Mittel waren ein winziger Bruchteil - ungefähr ein halbes Prozent - des Gesamtetats für den Damm, aber dieser Gesamtetat war so riesig, dass die Smithsonian River Basin Surveys, wie man das Projekt nannte, nach archäologischen Maßstäben immer noch zu einem umfangreichen, gut finanzierten Vorhaben wurde. Während das Corps of Engineers immer mehr Erde auftürmte, um den Fluss aufzustauen, machte sich ein kleines Heer von Archäologen und ihren Helfern - Studenten und Doktoranden - in dem zukünftigen Überschwemmungsgebiet an die Ausgrabungsarbeiten. Den Anfang machte eine wichtige Stätte der Arikara unmittelbar stromaufwärts vom Damm, die als Erste unter Wasser liegen würde. Man nannte sie Sully-Stätte - das war einfach der Name des Landkreises, in dem sie sich befand. Auf der zweiten Geländestufe, oberhalb der eigentlichen Flussniederung, hatten die Arikara das größte Erdhüttendorf errichtet, das man jemals entdeckt hat.
Das wichtigste Indiz für den archäologischen Gehalt der Stelle war eine Reihe von Kreisen, manche mit einem Durchmesser von fünf bis sechs Metern, andere aber auch in allen Größen bis zu knapp 20 Metern. Sie zeigten an, wo sich die Erdhütten befunden hatten; als diese abgebrannt oder in sich zusammengestürzt waren, hatten sie in der Prärie jeweils eine flache Senke hinterlassen, weil sie bis zu einem Meter in das umgebende Gelände hineingegraben waren. In der Region regnet es wenig - in der Regel nur knapp 400 Millimeter im Jahr -, und deshalb wurden die Senken,
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