Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
Ortschaft nicht weit von Orlando.
Der meistverkaufte Einäscherungsofen von IEE trägt die Bezeichnung »Power Pak«. Anders als der Sarg in einem Bestattungsunternehmen, der vor allem hübsch und elegant aussehen soll, ist ein Einäscherungsofen eindeutig ein Produkt der Schwerindustrie und nicht für die Blicke der Öffentlichkeit bestimmt. Mit geöffneter Tür sieht der Power Pak aus wie eine dreimal so tiefe, größere Version des Ofens, in dem Hänsel und Gretel beinahe zu Pfefferkuchen verarbeitet worden wären. Der Boden ist flach, das Dach gewölbt, und die ganze Brennkammer, die sich zweieinhalb unheilschwangere Meter von der Tür bis zur Rückwand erstreckt, ist mit Schamottesteinen oder hitzebeständigem Beton ausgekleidet.
Die Leichen werden in der Regel mit dem Leichenwagen angeliefert; in den meisten Krematorien setzt der Wagen rückwärts an ein Garagentor heran, dann wird die Leiche mit ihrer Papptransportkiste auf einen Rollwagen geschoben und zur Ofentür gefahren. Alles Weitere ist einfach und von einer einzigen Arbeitskraft zu bewältigen: Die Kiste wird von dem Rollwagen in den Ofen geschoben, die Tür wird geschlossen und das Gas angezündet.
Zunächst wird dazu ein kräftiges Gebläse eingeschaltet, das im Ofen - der »Primärkammer«, wie man ihn auch nennt - für stetige Luftzufuhr sorgt. Durch ein Abluftrohr gelangt die Luft wieder ins Freie. Wenn das Gebläse läuft, stellt der Mitarbeiter an einer Schaltuhr die Brenndauer ein. Die Schaltuhr steuert auch die Gaszufuhr und einen elektrischen Zünder, ganz ähnlich wie bei Heizungsanlagen für den Hausgebrauch.
Als erster Brenner wird der »Nachbrenner« angezündet, eine kleine Vorrichtung am Hinterende des Ofens, die eine Doppelfunktion erfüllt. Sie heizt das Innere vor, sodass hitzebedingte Risse in den Schamottesteinen möglichst vermieden werden. Und während der eigentlichen Verbrennung wird hier ungenutztes Gas abgefackelt, bevor es durch den Schornstein entweicht.
Ist der Ofen vorgeheizt, geht ein schwacher »Initialbrenner« im Dach des Ofens in Betrieb. Er hat ausschließlich die Aufgabe, die Pappkiste in Brand zu setzen. Pappe entzündet sich bei etwa 260 Grad. In den von oben heranschießenden Flammen fängt die Kiste in wenigen Sekunden Feuer.
Einige Minuten später ist die Pappe zu Asche verbrannt, und die Einäscherung der Leiche kann beginnen. Jetzt schießen Flammen aus dem kräftigeren Einäscherungsbrenner auf die Leiche hinunter. In den meisten Fällen bleibt die Temperatur im Ofen in dem Bereich zwischen 900 und 1000 Grad. Stark übergewichtige Leichen verbrennen jedoch bei sehr viel höheren Temperaturen von bis zu 1600 Grad.
Die Öfen von IEE sind so konstruiert, dass sie alle diese Bedingungen aushalten. Das Unternehmen bietet einen Service mit jährlichen Inspektionen, Reinigung, Thermostatjustierung und Reparaturen je nach Kundenwunsch. Die meisten Krematorien lassen ihren Ofen mindestens einmal jährlich warten und einstellen. Wie ich jedoch erfuhr, hatte das Tri-State Crematory in 20 Jahren kein einziges Mal eine Inspektion oder Reinigung vornehmen lassen. Den Berichten zufolge war auch nur ein einziges Mal ein Techniker von IEE in dem Krematorium gewesen: als die Kriminalpolizei das Unternehmen beauftragte, Stellung zu der Aussage von Ray Brent Marsh zu nehmen, er sei mit seiner Arbeit nicht mehr nachgekommen, weil der Ofen defekt war. Nach Angaben des IEE-Technikers ließ der Ofen sich jedoch anstandslos in Betrieb nehmen.
Am 3. September 2002, einen Tag nach dem Labor Day, bekam ein Verwandter von Chigger Harden einen Anruf von Greg Ramey, dem Beamten der Kriminalpolizei von Georgia, der die Untersuchungen im Fall Tri-State leitete. Im Labor der Luftwaffe in Maryland hatte man DNA-Proben von allen 339 aufgefundenen Leichen analysiert. Das Labor verglich diese Proben mit denen, die von Verwandten zur Verfügung gestellt oder aus Arztpraxen bezogen wurden. Einige Angehörige von Chigger hatten sich Blutproben entnehmen lassen, aber wie sich herausstellte, wäre das nicht nötig gewesen: Ein Krankenhaus in der Nähe besaß noch Gewebeproben von Chiggers Obduktion.
Agent Ramey teilte nun mit, Chigger sei unter den 339 Leichen, die man im Februar auf dem Gelände des Krematoriums gefunden hatte. Die von der Kriminalpolizei als Nummer 218 bezeichnete Leiche war fast zwei Jahre lang im Wald von Georgia verwest. Seit Februar lag sie in einer Kühlkammer, die man in der Nähe von Noble eingerichtet hatte.
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