Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
brauche, stand kurz darauf ein neuer Mixer in der Küche, und der alte wurde in die Garage verbannt.)
Bei East Tennessee Cremation Services hatte man eine viel raffiniertere Methode zum Zerkleinern verbrannter Knochen: eine Mühle von IEE. Sie sah aus wie ein Suppenkessel, den man oben auf einer Mülltonne befestigt hatte, kostete aber stolze 4000 Dollar. Helen legte die Reste in den Kessel, verschloss ihn mit einem schweren Deckel und betätigte einen Schalter. Nach einer Minute war nur noch ein feinkörniges Pulver übrig. Sie schüttete die Aschereste in einen Plastikbeutel, der sich in einer rechteckigen Kunststoffschachtel befand - sie passten gerade eben hinein -, verschloss den Beutel mit einer Kunststoffklemme und gab mir die Schachtel. Jetzt hatte ich das in der Hand, was die Famile Harden schon vor zwei Jahren zu besitzen geglaubt hatte. Ich stellte den Behälter auf den Rücksitz meines Lieferwagens und machte mich auf den Heimweg.
Die ersten, gefälschten Überreste von Chigger Harden hatten 1650 Gramm gewogen, noch nicht einmal die Hälfte dessen, was ich mit meinen Messungen an den Überresten von 100 Leichen als Durchschnittsgewicht für Männer ermittelt hatte. Was ich jetzt in der Hand hatte, zeugte vom stämmigen Körperbau des Farmers: Einschließlich des Beutels (aber nicht der Schachtel) brachte Chigger noch 3670 Gramm auf die Waage, vermutlich ähnlich viel wie zu der Zeit, als er das Licht der Welt erblickte. Nachdem ich die Reste gewogen hatte, öffnete ich den Beutel, füllte eine kleine Menge in ein sauberes Filmdöschen aus Kunststoff und verschloss die Tüte wieder. Die Probe schickte ich wie die anderen an die Galbraith Laboratories.
Als die Ergebnisse vorlagen, war ich überrascht: Die Überreste enthielten fünf Prozent Silizium, ungefähr das Zehnfache dessen, was ich erwartet hatte. Vielleicht stammte die überschüssige Menge aus der Erde, die an der Leiche und ihrer Kleidung klebte, oder vielleicht war auch von der Betonauskleidung des Ofens etwas abgebröckelt. Eine andere Ascheprobe, die man bei Galbraith zur gleichen Zeit analysiert hatte, enthielt nur 0,5 Prozent Silizium, was dem natürlichen Gehalt in einem menschlichen Körper viel näher kommt. Wie immer hatte die Forschung ebenso viele Fragen aufgeworfen, wie sie beantwortet hatte. Aber die grundlegende Frage hatten wir mittlerweile ziemlich schlüssig beantwortet: Die Leiche war durch die DNA-ANALYSEN von Kriminalpolizei und Luftwaffe eindeutig identifiziert; die anthropologische Untersuchung der Skelettreste stand im Einklang mit Alter, Rasse, Geschlecht, Haarlänge und Haarfarbe von Chigger; die Kleidung passte; und das private DNA-LABOR hatte das Stück Oberschenkelknochen untersucht, das ich mit der Stryker-Säge herausgeschnitten hatte, und eine unabhängige Bestätigung der Identität geliefert.
Nur ein Rätsel machte mir noch zu schaffen, eine unbeantwortete Frage, deretwegen ich den Fall nicht auf sich beruhen lassen konnte. Ich stieg in meinen Lieferwagen und fuhr zurück zur University of Tennessee. Ich legte meinen Kripo-Dienstausweis an auffälliger Stelle hinter die Scheibe, parkte im Halteverbot (eine andere Stelle konnte ich nicht finden) und begab mich in die radiologische Abteilung im Keller des Universitäts-Lehrkrankenhauses. Dort waren technische Assistentinnen und Ärzte im Laufe der Jahre immer wieder sehr entgegenkommend gewesen, wenn ich sie hin und wieder bat, seltsame Dinge zu röntgen. Offensichtlich fanden sie es interessant, und außerdem wussten sie es anscheinend zu schätzen, dass ich ihnen keine verwesenden Leichen brachte: Die durchleuchten wir mit einem tragbaren Gerät auf der Laderampe des Universitätsklinikums.
Aus einer Pappschachtel entnahm ich zwei flache Plastikbeutel von ungefähr 30 mal 30 Zentimetern, auf die ich die Reste von Chigger aufgeteilt hatte. Das Pulver bildete in jedem der beiden Beutel eine einheitlich dicke Schicht von etwa zweieinhalb Zentimetern.
Die Röntgenassistentin trat hinter ihren Schutzschild und machte die Aufnahmen. Auf dem ersten Negativ war fast überhaupt nichts zu erkennen: es war stark unterbelichtet, weil sie offensichtlich die Dicke des Materials falsch eingeschätzt hatte. Im zweiten Versuch traf sie ins Schwarze: Die zermahlenen Knochenfragmente waren in vielen Grautönen zu erkennen, und das Bild war mit Dutzenden von weißen, zahnförmigen Gegenständen durchsetzt: den Zähnen des Reißverschlusses von dem Sack, in dem man die Leiche
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