Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
von Georgia angeliefert und eingeäschert hatte.
Außerdem war noch ein weiterer undurchlässiger Gegenstand zu erkennen: eine fast völlig runde Scheibe, ungefähr so groß wie eine kleine Münze und doppelt so dick. Ich holte sie heraus: Die Scheibe war schwer - schwer wie Blei. In der Asche hatte ich sie nicht gefunden, aber sie war immer da gewesen: Chiggers Kugel.
Für die Familie Harden war das lange Martyrium vorüber. Dass ich die Kugel gefunden hatte, war für sie eigentlich keine gute Nachricht, aber dankbar waren sie dennoch. Ähnliche Reaktionen habe ich im Umgang mit den Angehörigen von Vermissten und Toten immer und immer wieder erlebt. Unsicherheit und Angst sind fast immer schwerer zu ertragen als die Gewissheit des endgültigen Verlustes.
Ich kann Menschen ihre geliebten Angehörigen nicht wiedergeben. Ich kann weder ihr Glück noch ihre Unbefangenheit wiederherstellen. Aber ich kann dafür sorgen, dass sie die Wahrheit erfahren. Damit gebe ich ihnen die Freiheit, um die Toten zu trauern, und danach sind sie frei, um ein neues Leben zu beginnen. Solche Wahrheiten mitteilen zu können ist für einen Wissenschaftler ein heiliges Gut, und es macht demütig.
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Und wenn ich einmal sterbe
I n den ersten 40 Jahren als forensischer Anthropologe habe ich Hunderte von Leichen und Tausende von Skeletten gesehen. Ich habe den Tod von allen Seiten unter die Lupe genommen. Das heißt, von allen Seiten außer einer. Eines Tages fand ich mich selbst auf dem Fußboden eines Restaurants wieder und sah ihm direkt ins Gesicht. Und der Tod erwiderte meinen Blick.
Zusammen mit Carol, meiner Frau, war ich auf dem Rückweg von Nashville nach Knoxville. Es ist eine Autofahrt von etwa drei Stunden, und ungefähr auf halbem Weg, in Cookeville, wollten wir eine Mittagspause einlegen. Wir bogen von der Interstate 40 ab und steuerten mein Lieblingsrestaurant in dem Ort an: Logans Road House. Nach den gebackenen Süßkartoffeln, die es dort gibt, bin ich süchtig.
In Nashville hatte ich einen Vortrag vor Spezialisten für Organspenden gehalten. Am Abend zuvor hatte ich mich nicht wohl gefühlt, und eigentlich wäre es vernünftig gewesen, den Vortrag abzusagen. Aber ich war extra nach Nashville gekommen, und nun wollte ich ihn auch um alles in der Welt halten. In der Familie Bass hat eine Eigenschaft, die wir als Entschlossenheit bezeichnen, alte Tradition. Wie ich gehört habe, nennen andere uns vielfach schlicht starrköpfig.
Ich gab der Gruppe eine mit Dias angereicherte Einführung in die forensische Anthropologie. Ich beginne dabei immer mit dem Selbstmord eines Mannes aus Texas, der zu diesem Zweck sein Auto in Brand setzte. Dann folgt der Fall von Madison Rutherford, der seinen Tod in einem brennenden Auto vortäuschte. Den Vortrag hatte ich schon mehrere Dutzend Mal gehalten, aber an jenem Vormittag stand ich ihn kaum durch. Normalerweise erwache ich vor Zuhörern erst richtig zum Leben: Ich fühle mich energiegeladen und angeregt, Geschichten und Witze sprudeln nur so heraus. Aber dieses Mal tat ich mich schwer, und ich war froh, als es vorüber war. Ich nahm höfliche Komplimente über meinen glanzlosen Vortrag entgegen, sprach ein paar eilige Abschiedsworte und drängte Carol zum Auto. Die gebackenen Süßkartoffeln, darauf setzte ich jetzt, würden mich unterwegs wieder aufmuntern. Wir traten bei Logan’s ein, und wenige Minuten später standen sie vor mir, butterzart und dampfend.
Ich weiß noch, dass ich ungefähr zwei Bissen von den Kartoffeln aß. Plötzlich wurde es dunkel um mich. Ich schob den Teller zur Seite und sagte zu Carol: »Ich glaube, ich werde ohnmächtig.« Im nächsten Augenblick schlug ich mit dem Kopf auf die Tischplatte. An alles Weitere kann ich mich nicht erinnern; ich gebe es hier so wieder, wie Carol und andere es mir später erzählt haben.
Schon kurze Zeit später waren die Sanitäter da, und mit ihnen kam Dr. Sullivan Smith, der medizinische Sachverständige des Kreises - er war gerade mit dem Auto in der Nähe gewesen, als der Notruf einging. Sobald er in seinem Wagen aus dem Polizeifunk von dem Einsatz hörte, fuhr er zu Logan’s. Wäre er eine Minute später gekommen, hätte er wahrscheinlich meinen Tod bescheinigen können. So aber beteiligte er sich an den Bemühungen, ihn abzuwenden.
Ich kannte Dr. Smith schon seit Jahren; er hatte früher am Universitätsklinikum in Knoxville als Assistenzarzt gearbeitet. Nach meiner Einschätzung ist er einer der besten medizinischen
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