Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
Muskelansätze, ein Hinweis auf die Nackenmuskulatur eines Mannes.
Noch schwieriger war eine Aussage über das Alter; hier bestand der einzige Anhaltspunkt in den arthritischen Wucherungen. An der Elle war auf der Ellenbogenseite eine geringfügige Gewebsvermehrung (»erstes Stadium«) zu erkennen; gleiches galt für Finger- und Zehenknochen sowie für die Brustwirbel. Das bedeutete, dass der Mann vermutlich zwischen 30 und 50 Jahre alt war - vielleicht also um die 40 -, aber genauer konnte man es unmöglich sagen.
Auch die Feststellung der Rasse war ohne Gesichts- und Gehirnschädel schwierig. Die Haare waren dunkel und glanzlos; die Rasse des Opfers war auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Wir legten eine Probe beiseite, um sie später genauer zu untersuchen.
Besser waren die Voraussetzungen für die Ermittlung der Körpergröße. Mit der Elle besaßen wir einen langen Knochen, und aus ihrer Länge konnten wir die Körpergröße des Opfers hochrechnen. Dabei gab es nur eine Schwierigkeit: Das untere Ende der Elle war von einem Raubtier abgebissen worden; deshalb mussten wir zunächst einmal feststellen, wie lang der Knochen gewesen war, bevor das Tier ihn auf 29,5 Zentimeter abgenagt hatte. Durch Vergleich mit mehreren vollständigen Ellen fanden wir heraus, dass weniger als fünf Prozent des Knochens fehlten; ursprünglich war er demnach etwa 31 Zentimeter lang gewesen. Diese Zahl setzten wir in eine Formel ein, welche die Anthropologin Mildred Totter schon in den fünfziger Jahren entwickelt hatte, und gelangten damit zu einer Körpergröße von schätzungsweise 182 bis 185 Zentimetern.
Unsere Untersuchungen auf der Body Farm, in denen wir uns mit der Verwesung und dem Zeitraum seit dem Tod beschäftigten, steckten 1981 noch in den Anfängen. Deshalb besaßen wir kaum Daten, die wir mit unseren Beobachtungen an Leichen aus dem Freiland vergleichen konnten. An einem Knochen hingen kleine, eingetrocknete Gewebestücke; der Verwesungsgeruch war deutlich wahrnehmbar, aber nicht übermäßig stark, und zwischen den Knochen lagen zahlreiche leere Puppenhüllen. Auf Grund der Beobachtungen, die ich während der vergangenen 25 Jahre an anderen verwesten Leichen angestellt hatte, schätzte ich die Zeit seit dem Tod auf ein bis drei Jahre.
Den Schlüssel zur Beantwortung der Frage, ob wir Leichenteile von Monty Hudson gefunden hatten, erhoffte ich mir von den Zähnen. Von den 15 Zähnen, die wir eingesammelt hatten, waren sieben, also fast die Hälfte, mit Füllungen versehen, einige davon sehr groß und charakteristisch. Wenn wir zahnmedizinische Röntgenaufnahmen von Monty in die Hand bekamen - vorausgesetzt, es gab sie -, konnten wir relativ schnell feststellen, ob Earl Carrolls Geschichte stimmte.
Mittlerweile hatte Liz Hudson vom FBI die Mitteilung erhalten, dass Monty vermutlich tot war, und erklärte sich zu jeglicher Mitarbeit bereit. Mit ihrem anfänglichen Schweigen hatte sie gute Absichten verfolgt: dass Monty bereits tot war, als sie in Nashville freigelassen wurde, wusste sie nicht, und sie hatte verzweifelt gehofft, er werde am Leben bleiben, wenn sie den Mund hielt. Damit war sie vielleicht ein wenig naiv gewesen, aber auch sehr loyal und tapfer. Jetzt erzählte sie dem Agenten Knudsen alles, woran sie sich im Zusammenhang mit der Entführung erinnerte, und sie hatte auch eine Vermutung, wo wir uns nach zahnärztlichen Unterlagen erkundigen konnten.
Ihren Angaben zufolge hatte Monty ziemlich lange in Tulsa gewohnt, und mit den dortigen Zahnärzten nahm Knudsen jetzt Kontakt auf. Dabei traf er relativ schnell ins Schwarze: Dr. R. Jack Wadlin bestätigte, Monty Hudson sei sein Patient gewesen, und schickte Zahnschemata sowie vier Röntgenaufnahmen von Montys Gebiss. Die Füllungen und Wurzelhöhlen auf Dr. Wadlins Röntgenaufnahmen stimmten mit den Merkmalen der Zähne überein, die wir in dem flachen Grab in einer ländlichen Gegend von Tennessee gefunden hatten. Wir hatten tatsächlich Monty Hudson ausgegraben - oder jedenfalls einen kleinen Teil von ihm.
Einge Monate nach unserem Ausflug in das Revier von Fat Sam wurden er und seine beiden Partner wegen der Entführung von Monty und Liz Hudson vor Gericht gestellt, Big Daddy Turner außerdem des Mordes an Monty angeklagt. Alle drei wurden des Menschenraubes in beiden Fällen überführt. Passarella musste bereits eine lange Gefängnisstrafe wegen Falschmünzerei absitzen; die Verurteilung wegen Kidnapping brachte ihm weitere 20 Jahre ein.
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