Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
einen weißen Lieferwagen der Universität und machten uns nach Osten auf den Weg. In Knoxville lief ein Serienmörder frei herum, und seine Beute suchte er sich unter den am stärksten gefährdeten Frauen der Stadt. Unter Frauen, die sich ihren Lebensunterhalt nur dadurch verdienen konnten, dass sie ihren Körper an Fremde verkauften und damit ihr Leben aufs Spiel setzten.
Es war schon Jahre her, seit ich zum letzten Mal einen Serienmord bearbeitet hatte, aber ich konnte mich noch lebhaft daran erinnern, wie beunruhigend es war. Mitte der achtziger Jahre waren acht Frauen im Südosten der USA ermordet und an großen Landstraßen abgelegt worden; drei von ihnen hatte man in Tennessee gefunden. Vielfach hatten die Opfer rote Haare gehabt, und deshalb wurde der Fall unter dem Namen »Rotschopfmorde« bekannt. Auch hier handelte es sich in den meisten Fällen um Prostituierte; damals hatte ich erfahren, dass sie häufig von einer Stadt zur anderen wechseln, sobald ihre Einnahmen zurückgehen.
Die Rotschopfmorde wurden nie aufgeklärt. Der neue Fall, so hoffte ich, würde besser ausgehen. Ein wirklich gutes Ende gibt es in solchen Dingen nie, aber wenn wir Glück hatten und außerdem anständige Arbeit leisteten, würde es zumindest weniger Verbrechen und mehr Bestrafung geben.
Als ich den Lieferwagen am Ende der Cahaba Lane geparkt hatte, blickte ich beim Aussteigen zufällig zu Boden. Oben an meinem linken Hinterreifen klebte ein gebrauchtes Kondom. Die Ermittler führten uns in den Wald. Rund 50 Meter rechts von der Werbetafel, eigentlich noch in Sichtweite der Straße, lag die erste Leiche. Die Frau war wie Patty Anderson nur unvollständig bekleidet; die Unterhose war heruntergezogen, sodass Gesäß und Genitalien frei lagen. Es war eine Farbige, und die Leiche befand sich im ersten Stadium der Verwesung: kaum Verfärbungen, keine aufgedunsenen Stellen, geringfügige Insektenbesiedelung. Teilweise lag es daran, dass die Leiche noch relativ frisch war, teilweise aber auch an dem kalten Wetter. Schmeißfliegen haben etwas gegen Temperaturen unter zehn Grad.
»Diese Leiche ist zu frisch für mich«, sagte ich. »Das ist ein Fall für den medizinischen Sachverständigen.« Nachdem ich auf diese Weise um die Untersuchung herumgekommen war, achtete ich sorgfältig darauf, die Tote nicht zu berühren. Angesichts der Blutergüsse am Hals und des verzerrten Gesichts war ich mir jedoch ziemlich sicher, dass man sie erwürgt hatte.
Ein Polizeibeamter fragte, wie lange sie schon tot sei. Ohne lange über die Kälte der letzten Zeit nachzudenken, antwortete ich: »Nicht lange - vielleicht ein paar Tage.« Diese aus dem Ärmel geschüttelte Bemerkung, die von dem Polizisten notiert und in den Zeitungen wiedergegeben wurde, sollte mich in den folgenden Monaten und Jahren immer wieder einholen.
Man führte mich zu der zweiten Leiche. Sie lag viel tiefer im Wald als die anderen: Von der Werbetafel musste man einen knappen Kilometer gehen, erst den Hügel hinauf und dann auf der anderen Seite ein Stück weit wieder hinunter. Im Gegensatz zu den beiden ersten Frauen war diese völlig nackt; etwa drei Meter entfernt lag ein Stück Unterwäsche, ein Seidenteddy. Es handelte sich ebenfalls um eine Farbige - die Rasse war an den Haaren und den entblößten Zähnen leicht zu erkennen. Die Leiche war bereits stark verwest. Die Haut hatte sich verfärbt, der Bauch war aufgedunsen, die Knochen des rechten Beins lagen frei, und die Füße fehlten. Arme und Beine waren weit gespreizt, und der Körper war mit dem Schritt gegen einen kleinen Baum gedrückt. Der Baumstamm schien unmittelbar aus den Geschlechtsteilen des nackten, verwesten Mordopfers zu wachsen, was das Verbrechen noch entsetzlicher und abartiger wirken ließ.
Als ich die Lage der Leiche genauer betrachtete, wurde mir klar, dass dies nicht der Schauplatz des Mordes war - die Frau war nicht an dieser Stelle umgebracht worden. Als ich mich umsah, fiel mir ein paar Meter höher an der Böschung ein dunkler, schmieriger Fleck auf: Dort waren flüchtige Fettsäuren aus der Leiche gesickert. Auch ein Teil der Haare lag dort. Offensichtlich hatte die Leiche sich ursprünglich an dieser Stelle befunden, und erst später hatte irgendjemand oder irgendetwas sie bewegt.
Beide Füße des Opfers fehlten. Sie waren an den Enden von Schien- und Wadenbein abgebissen, und auch der linke Oberschenkel war stark angenagt. Ich konnte mir den Ablauf ganz genau ausmalen: Nach dem Mord war etwa
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