Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
Terry Ramsburg war unter dem Haus größtenteils skelettiert; nur unter Brustkorb und Bauch hatten wir große Mengen von Adipocire gefunden. (Adipocire - wörtlich übersetzt »Leichenwachs« - ist eine seifige, schmierige Substanz; sie entsteht, wenn Fett sich in einer feuchten Umgebung zersetzt.) An dem Ausmaß der Skelettierung und der Menge der Adipocire konnte ich ablesen, dass Terry Ramsburg schon lange in dem Kriechkeller gelegen hatte, vermutlich seit dem Tag seiner Ermordung.
Hätte Arpads Bodenanalyse den Zeitraum seit dem Tod noch genauer eingrenzen oder bestätigen können? Nun ja, hier ging es wie so oft bei neuen wissenschaftlichen Verfahren: Wir erfuhren in diesem Fall mehr über die Methode selbst als über den Mord, auf den sie angewandt wurde.
Als Arpad die flüchtigen Fettsäuren analysieren wollte, lag ihre Menge in allen Fällen unterhalb der Nachweisgrenze, und diese Grenze war schon erstaunlich niedrig: 22 parts per million (Gramm pro Tonne). Einfach gesagt, hatte die Leiche so lange dort gelegen, dass die Fleisch fressenden Mikroorganismen sich längst fettere Weidegründe gesucht hatten, und selbst ihre Hinterlassenschaften waren bereits verdunstet. Temperaturmessungen in dem Kriechkeller zeigten, dass die Leiche wahrscheinlich nach rund elf Monaten dieses Stadium erreicht hatte, und bis sie gefunden wurde, verging fast das Dreifache dieser Zeit. Damit war klar, dass die Methode sich besser für Leichen eignete, die sich noch im Zustand der Verwesung befanden.
Nach dem Fall Ramsburg arbeitete Arpad Vass weiter an der Verfeinerung seiner Bodenanalysemethode zur Abschätzung der Zeit seit dem Tod. Außerdem stellte er neueste chemische Erkenntnisse auch auf andere Weise in den Dienst der Mörderjagd. Mit einem ähnlichen Verfahren, das er in jüngster Zeit entwickelte, kann man winzige Gewebeproben aus Leber, Nieren, Gehirn und anderen Organen eines Mordopfers analysieren. Ist die Leiche erst wenige Wochen alt, kann man den Todeszeitpunkt mit diesem Biopsieverfahren auf Tage oder sogar Stunden genau feststellen. Derzeit arbeitet Arpad an der Isolierung und Identifizierung der Moleküle, die den charakteristischen Leichengeruch verursachen und auf die beispielsweise Leichenspürhunde ansprechen - ein Schritt in Richtung tragbarer Geräte, mit denen Polizei und Menschenrechtsvertreter heimlich angelegte Gräber aufspüren können.
Arpads erste große Errungenschaft, die Analyse von Bodenproben zur Feststellung des Todeszeitpunktes, hat ihre Zuverlässigkeit und ihren Wert mittlerweile in Dutzenden von Fällen bewiesen. In einem solchen Fall begannen die Ermittlungen nur drei Monate nachdem Lillie Mae gestanden hatte, Terry Ramsburg ermordet und unter dem Haus verscharrt zu haben. Die seit dem Tod verstrichene Zeit - und Arpad - sollten bei den Morden des »Zoomannes« eine herausragende Rolle spielen.
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Die Morde des Zoomannes
J edes Jahr im Oktober sind die Berge im Osten von Tennessee sechs berauschende Wochen lang wie herausgeputzt: Die Hartriegelbäume verfärben sich scharlachrot, der Ahorn leuchtet orange, die Tulpenbäume sind hellgelb und die Eichen zeigen alle Schattierungen von Rot und Braun.
Rund 15 Kilometer östlich der Innenstadt von Knoxville, nicht weit hinter der Brücke, auf der die Interstate 40 das grüne Wasser des Holston River überquert, prangen die Herbstfarben neben der Landstraße in einem dichten Laubgehölz. Die Bäume stehen am Ende der Cahaba Lane, einer kurzen Sackgasse, die einen knappen Kilometer parallel zu den östlichen Spuren der Schnellstraße verläuft. Zur Straße hin stehen eine Hand voll Häuser und Wohnwagen, und oben auf einer grasbewachsenen Böschung thront eine Kirche, die East Sunnyview Baptist Church. Weiter südlich, in einiger Entfernung von der Straße, windet sich zwischen den Bäumen ein kleiner Bach, der nur bei Regen Wasser führt.
Die Cahaba Lane endet vor einer riesigen Werbetafel mit der Aufschrift Comfort Inn, Free Breakfast, Guest Laundry . Getragen wird das Schild von fünf verrosteten T-Trägern. Zwischen zwei dieser Pfähle führt ein Fußweg bergauf über eine sanft ansteigende Böschung, die von leeren Bierdosen, Fastfood-Verpackungen, Eierschachteln, Schuhen und anderen Haushaltsoder Autoabfällen übersät ist. Auf dem Waldboden verteilen sich aber auch unzählige Eicheln, von denen ein großer Eichhörnchenbestand lebt.
Am 20. Oktober 1992 wanderte ein Jäger mit der Absicht, ein wenig zur Kontrolle der
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