Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Titel: Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bass Jon Jefferson
Vom Netzwerk:
haben«, sagte ich zu den Studenten, »und dann arbeitet euch bergauf bis zum Fundort der Haare vor. Es muss dort sein.« Den letzten Satz meinte ich in einem mehrfachen Sinn.
    Ein paar Stunden später kamen die vier zurück und überreichten mir triumphierend das Zungenbein. Der Knochen war mit ziemlicher Sicherheit in der Nähe des ursprünglichen Tatortes herausgefallen (oder von einem Aasfresser herausgerissen worden), und dann hatten fallende Blätter ihn zugedeckt.
    Das Zungenbein lag in drei Stücken vor, aber das musste nicht unbedingt bedeuten, dass es zerbrochen war; bei manchen Menschen entwickelt sich dieser Knochen nie zu einem durchgehenden, harten Bogen. So war es auch in diesem Fall: Die beiden seitlichen Stücke, »große Hörner« genannt, sind durch Knorpel mit dem bogenförmigen »Corpus« in der Mitte verbunden. Möglicherweise waren die Hörner abgebrochen, man konnte sich aber auch vorstellen, dass der Knorpel an diesen Stellen einfach bereits verwest war. Um zwischen diesen beiden Möglichkeiten zu unterscheiden, musste ich mir die Sache genauer ansehen - und zwar viel, viel genauer.
    Ich brachte die Stücke in ein Rasterelektronenmikroskopie-Labor der Ingenieurschule. Bei 20-facher Vergrößerung glaubte ich, am eigentlichen Knochen die Spuren einer Schädigung zu sehen: winzige gerade Bruchlinien und Zugbrüche an der Fläche, wo der Knorpel ansetzte. Ich fuhr näher heran. Bei 100-und 200-facher Vergrößerung trat die Schädigung deutlich zu Tage: zahlreiche kleine Brüche, die in einem kleinen, auseinander gerissenen Bereich des Knochens endeten.
    Viel gab es nicht zu sehen, aber es war das entscheidende Indiz, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass der Knorpel durch Gewalteinwirkung vom Knochen gerissen war - beispielsweise durch zwei kräftige Hände, die erbarmungslos zudrückten, bis sie sich nicht mehr wehrte, nicht mehr atmete, nicht mehr lebte. Dieser Augenblick war vermutlich irgendwann vor zehn bis zwanzig Tagen eingetreten. Zu meiner Schätzung der seit dem Tod verstrichenen Zeit gelangte ich, indem ich einen Zusammenhang zwischen zweierlei Beobachtungen herstellte: dem fortgeschrittenen Stadium der Verwesung und den Tages- und Nachttemperaturen während der letzten Wochen.
    Um den Todeszeitpunkt näher einzugrenzen, zog ich einen früheren Studenten hinzu: das Chemie-Ass Arpad Vass, der jetzt als Wissenschaftler am Oak Ridge National Laboratory arbeitete. Ihm schickte ich zwei Bodenproben: eine von der Stelle unter der Leiche, wo flüchtige Fettsäuren in die Erde gesickert waren, und als Kontrolle eine zweite, die wir rund fünf Meter vom Fundort der Leiche entfernt an der Böschung entnommen hatten. Im Fall Ramsburg - das war der Mann, den seine Frau erschossen und im Kriechkeller unter seinem Haus verscharrt hatte - waren Arpads Möglichkeiten wegen der langen Zeit seit dem Tod des Mannes eingeschränkt gewesen. Hier jedoch kamen die Umstände seiner Methode sehr entgegen. Er analysierte zunächst die Mengenverhältnisse der Verwesungsprodukte und bezog dann den Temperaturverlauf in die Rechnung mit ein. Dieses Mal gelangte er zu hervorragenden Ergebnissen: Nach seiner Berechnung lag der Tod der Frau 14 bis 17 Tage zurück. Nach dem Verwesungszustand hatte ich den Mord in die Zeit zwischen dem 6. und 16. Oktober verlegt; Arpad grenzte diesen Zeitraum auf den 12. bis 15. Oktober ein, ungefähr die gleiche Zeit, in der auch Patty Anderson verschwunden war.
    Um sicherzugehen, hatten die Ermittler für alle Leichen eine zweite Schätzung für den Todeszeitpunkt eingeholt. Sie wurde von Neal Haskell vorgenommen, einem forensischen Insektenforscher, der einige Jahre zuvor in der Body Farm eine interessante Untersuchung angestellt hatte. Neal entwickelte eine kriminalistische Methode zum Nachstellen von Mordschauplätzen und benutzte dabei ein frisch geschlachtetes Schwein als Ersatz für das Mordopfer - ein »Körperdouble«, wie man in Hollywood sagt, wenn auch eines aus einer anderen biologischen Art. Er ließ der Natur ihren Lauf, bis der Schweinekadaver mit den gleichen Insekten besiedelt war wie das Mordopfer, und wollte damit die seit dem Tod vergangene Zeit auf einen bis zwei Tage genau eingrenzen. Um aber festzustellen, ob die toten Schweine einen echten Ersatz für menschliche Leichen darstellten, musste er die Tätigkeiten der Insekten bei beiden Lebewesen unmittelbar vergleichen. Und das war natürlich nur in der anthropologischen Forschungseinrichtung der University of

Weitere Kostenlose Bücher