Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
behaupten, dass das Alter zwischen 25 und 35 lag, aber eine genauere Aussage war schwierig.
Da dem Skelett nur ein Arm fehlte, sollte man annehmen, dass wir die Reste zur Bestimmung der Körpergröße nur auf einen Tisch legen und ein Maßband vom Kopf bis zur Ferse spannen mussten. In Wirklichkeit ist die Sache aber nicht ganz so einfach. Knorpel schrumpft nach dem Tod um mehrere Zentimeter ein und zerfällt. Außerdem war der Schädel nicht mit dem übrigen Skelett verbunden. Diese beiden Tatsachen boten die Gewähr, dass wir mit der Maßbandmethode sehr ungenaue Ergebnisse erhalten würden.
Stattdessen gingen wir genauso vor, als wenn wir nur einen Oberschenkelknochen gefunden hätten: Wir vermaßen seine Länge und rechneten dann hoch. Dieser Oberschenkel war mit 47,8 Zentimetern deutlich länger als der vorige. Die Körpergröße von 92-28 lag demnach zwischen 1,67 und 1,74 Meter.
Als Nächstes suchte ich nach Verletzungsspuren, die Auskunft über die Todesursache gegeben hätten. Aber obwohl wir stundenlang Blätter und Erde durchsiebten, fanden wir das Zungenbein leider nicht; deshalb konnte ich nicht feststellen, ob man die Frau erdrosselt hatte.
Ein anderer Knochen jedoch lieferte ganz buchstäblich ein schlagendes Indiz. Das linke Schulterblatt wies am unteren Ende einen großen Bruch auf. Eigentlich ist das Schulterblatt ein recht großer, kräftiger Knochen, und außerdem ist es durch die Muskulatur geschützt. Der Bruch konnte nur durch Gewalteinwirkung entstanden sein, beispielsweise durch einen Fußtritt mit einem Stiefel, einen Baseballschläger oder ein Vierkantholz.
An der Form der Bruchkanten konnte man erkennen, dass der Schlag von hinten gekommen war, und Spuren einer Heilung waren nicht vorhanden. Der Bruch war also zum Zeitpunkt des Todes oder unmittelbar davor entstanden. Mit anderen Worten: Die Frau war vermutlich um ihr Leben gelaufen, und dann hatte der Mörder sie eingeholt. Hinzu kam, dass sie barfuß gewesen war, während er mit Sicherheit Schuhe anhatte. Er hatte sie am Bachufer vornüber zu Boden gestoßen, sich auf sie gesetzt und sie getötet.
Je mehr Zeit seit dem Tod verstrichen ist, desto schwieriger wird es, ihre Dauer anhand der Skelettreste genau anzugeben. Da diese Leiche bereits fast völlig skelettiert war, musste sie, die man als Letzte gefunden hatte, als Erste gestorben sein. Berücksichtigte man außerdem die äußerst starke Verwesung, die Tagestemperaturen im September und Oktober sowie den Zustand des im Bach liegenden weichen Gewebes, das bekanntermaßen nur halb so schnell verwest, musste 92-28 nach meiner Schätzung schon vier bis acht Wochen tot gewesen sein, bevor sie gefunden wurde. Für den Todeszeitpunkt kam also eine recht lange Spanne in Frage, die fast den ganzen September umfasste. Ich hoffte, die Untersuchungen an Boden und Insekten würden bedeutend genauere Aussagen über den Zeitpunkt des Verbrechens ermöglichen.
Diese Hoffnungen erwiesen sich als begründet. Arpads Analyse der flüchtigen Fettsäuren im Boden unter der Leiche grenzte die seit dem Tod verstrichene Zeit auf 30 bis 37 Tage ein - demnach musste der Mord in der Woche zwischen dem 22. und 29. September geschehen sein. Neal Haskell gelangte mit seiner insektenkundlichen Untersuchung praktisch zu dem gleichen Ergebnis: Er nannte den 22. bis 26. September. Wenn sie tatsächlich Ende September gestorben war - in der Zeit, in der sich die Ergebnisse der drei unabhängigen, mit unterschiedlichen Methoden durchgeführten Analysen überschnitten -, entsprachen die Abstände zwischen den Morden der klassischen Gesetzmäßigkeit einer sich beschleunigenden Serie: Zwischen dem ersten und dem zweiten Mord waren zwei bis drei Wochen vergangen, zwischen dem zweiten und dritten lagen vielleicht nur wenige Tage, und der dritte und vierte waren nach den Untersuchungsergebnissen des medizinischen Sachverständigen möglicherweise nur durch einen oder zwei Tage voneinander getrennt.
Die Zähne dieses Opfers boten das gleiche Bild wie die von Darlene Smith: Man hatte sie in der Jugend vorbildlich versorgt, in den letzten Jahren waren sie jedoch vernachlässigt worden. Auch dieser Mund war also ein Opfer schwieriger Verhältnisse. Sechs Zähne hatten Füllungen, einer jedoch, ein unterer linker Schneidezahn, ließ zwei ungefüllte Löcher erkennen. Eines davon war klein, aber das andere erstreckte sich von der Zahnoberfläche bis weit in die Wurzelhöhle. Es war vermutlich früher einmal gefüllt
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