Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
gewesen, aber dann war die Füllung herausgefallen, sodass es für weitere Zerstörung anfälliger war als je zuvor. Die Infektion hatte auf den Kiefer übergegriffen und am Knochen einen großen Abszess verursacht. Als ich den Schädel am Tatort zum ersten Mal in die Hand nahm, war mir aufgefallen, dass das Loch im Zahn mit Watte ausgestopft war. Damals hatte ich zu Art Bohanan gesagt: »Sie hatte Zahnschmerzen, als sie starb.« Die Watte war nach meiner Überzeugung ein Indiz dafür, dass ein Zahnarzt eine Wurzelbehandlung vornehmen wollte. Später stellte die Polizei jedoch fest, dass sie sich selbst mit einer ganz besonderen, verzweifelten Methode gegen die Schmerzen geholfen hatte: Die Watte war mit Kokainpaste getränkt. Schlimme Zeiten, schlimme Hilfsmittel.
Art Bohanan erlebte hier das Gleiche wie bei Darlene Smith: Er untersuchte die verbliebene Hand und zog das große Los. Die wenige noch verbliebene Haut war vom Wasser durchweicht, halb zersetzt und unglaublich empfindlich. Art tränkte sie mit Alkohol, um sie widerstandsfähiger zu machen und ihr das Wasser zu entziehen. (Im umgekehrten Fall - wenn die Haut trocken und steif gewesen wäre - hätte er sie in Weichspüler der Marke Downy gelegt; ich bin überzeugt, dass die Hersteller von Downy begeistert über die Mitteilung wären, dass ihr Produkt sogar mumifizierter menschlicher Haut neue Weichheit und Aprilfrische verleiht.) Von der mitgenommenen Hand konnte Art nur einen einzigen Abdruck sichern, und der stammte noch nicht einmal von einem Finger. Er erhielt das Muster von einem Teil der Handfläche knapp unterhalb des kleinen Fingers.
Das war nicht viel, aber es reichte. Der Teilabdruck der Handfläche passte zu einem Abdruck aus den Akten der Polizei von Knoxville: Er gehörte zu Susan Stone, 30 Jahre alt, 1,73 Meter groß, Prostituierte und kokainabhängig. Auf die schiefe Bahn war sie vor sieben Jahren geraten, nachdem sie einen Drogendealer geheiratet hatte. Bevor sie Hure wurde, hatte sie in mehreren bürgerlichen Berufen gearbeitet; noch sechs Monate vor ihrem Tod war sie als Bürokraft bei einer Computerfirma tätig gewesen. Wäre sie bei dieser Arbeit geblieben, hätte sie vermutlich auch ihr Leben behalten.
Einen Serienmörder zu fangen ist eine Mammutaufgabe. Es erfordert in allen Phasen ausgesprochene Teamarbeit. Die Opfer zu identifizieren, Art und Zeitpunkt ihres Todes festzustellen und die Indizienkette bis zum Zoomann zu verfolgen erforderte die vereinten Kräfte der Polizeiermittler, eines forensischen Pathologen, mehrerer forensischer Anthropologen, eines Wissenschaftlers aus der Forschung und eines forensischen Entomologen. Damit wurde der Fall zu einem Musterbeispiel für derartige Teamarbeit. Ebenso schwierig ist es, einen Serienmörder vor Gericht zu bringen, denn die dazu notwendigen Anstrengungen setzen sich auch dann noch lange fort, wenn der Betreffende bereits verhaftet und des Mordes angeklagt ist. Auch dafür kenne ich kein besseres Beispiel als diesen Fall. Während meine Kollegen und ich uns darum bemühten, aus den Leichen der ermordeten Frauen so viele Indizien wie möglich zu gewinnen, bemühte sich die Polizei um Indizien von Tom Huskey.
Zwei Wochen nach seiner Festnahme trugen die Anstrengungen erste Früchte, und zwar auf spektakuläre Weise. Im mehreren Verhören gestand Huskey, er habe die vier Frauen ermordet. Die gespenstischen Einzelheiten hielt ein Tonbandgerät fest: Er erzählte den Ermittlern, wie er eine Leiche (die von Patty Anderson) unter einer Matratze versteckt und ihr Halskette und Ohrringe abgenommen hatte - Gegenstände, die während der Festnahme in seinem Zimmer gefunden wurden. Sein letztes Opfer war nach Huskeys Worten eine Farbige, die groß, dünn und »hässlich« gewesen sei. Er berichtete, sie habe Angst gehabt und eine Art »Anfall« bekommen, sodass sie über den Boden »getitscht« sei. Sein Bericht stimmte mit der Personenbeschreibung und der medizinischen Vergangenheit von Patricia Johnson überein, der kürzlich zugezogenen Chattanooga-Frau, deren Leiche mir für eine Untersuchung zu frisch gewesen war.
Wenig später jedoch vollzog sich in den Bandaufnahmen eine bizarre Wendung. Zu Beginn der Aufnahmen sprach Thomas Huskey leise, fast demütig. Bald darauf jedoch änderte sich sein Tonfall völlig: Er wurde laut, streitlustig und vulgär - es war, als gehörte diese Stimme einem anderen, einer anderen Persönlichkeit namens »Kyle«, Huskeys bösem Alter Ego. »Kyle«,
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