Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Knochenmann

Der Knochenmann

Titel: Der Knochenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
Vom Netzwerk:
hat. Jetzt Hemd allein kann noch Zufall sein. Aber Hose auch dieselbe, und Schuhe ebenfalls. Und natürlich Doppelschock für den Brenner, weil an den Füßen vom Horvath hat er zum ersten Mal in seinem Leben gesehen, wie auffällig es eigentlich ist, daß sein linker Schuh bei der kleinen Zehe ein kleines Loch hat.
    «Ich habe kein Männergewand mehr gehabt.»
    «Daß dir meine Schuhe passen.»
    «Ich habe Einundvierziger. Ein bißchen groß für eine Frau.»
    «Ich Zweiundvierziger. Ein bißchen klein für einen Mann.»
    Da hat man es wieder gesehen, an solchen Äußerungen, daß der Brenner vielleicht doch ein bißchen Komplexe hat wegen seiner Größe. Dabei ist er ganz durchschnittlich groß. Es ist ja nicht die Größe, wieso er so gestaucht aussieht. Sondern die Schultern zu breit und die Beine zu kurz, das ist es, sprich: Proportionen.
    «Besser zu groß als zu klein», sagt der Horvath.
    «Wie bist du denn in mein Zimmer hineingekommen?»
    «Universalschlüssel. Vom Zimmermädchen.»
    «Und gehst du jetzt nicht mehr als Kellnerin?»
    «Gehen?»
    Der Brenner hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen: als Kellnerin gehen! Wie man im Fasching sagt, ich gehe als Charlie Chaplin, weil da brauch ich nur einen schwarzen Anzug, einen Hut und einen Schnurrbart, und schon bin ich gut verkleidet.
    Aber der Horvath hat nur gelächelt. Er war jetzt weit davon entfernt zu weinen. Er hat auch vollkommen nüchtern gewirkt, wie er gesagt hat: «Nein, jetzt gehe ich nicht mehr als Kellnerin.»
    «Und? Was machen wir jetzt?»
    «Jetzt fahren wir ein bißchen mit meinem Auto herum.»
    Der Brenner ist mit dem schmächtigen Mann, dem sein kariertes Hemd viel zu weit gewesen ist, hinausgegangen und in den Ford Fiesta von der Kellnerin gestiegen.
    Der Ford ist voll mit diesem Ramsch gewesen, den manche Leute in ihren Autos haben, eine CD ist vom Rückspiegel gebaumelt, eine gehäkelte Klopapier-Puppe ist hinten auf der Hutablage gestanden, und neben dem Handschuhfach ist ein «Komm gut heim»-Fotorahmen geklebt. Aber das vergilbte Paßfoto von dem Mann muß noch aus der Zeit vom Elvis Presley gewesen sein, weil die Schmalzlocke eine Katastrophe.
    Es hat den Brenner nicht besonders gewundert, daß heute ein Mann beschließen kann: ich möchte lieber eine Frau sein. Und da gibt es sogar Operationen, und das hat er alles verstanden. Und daß sich ein Künstler denkt, ich möchte wieder ein stinknormaler Mensch sein, hat er auch verstanden. Aber daß jemand in seiner Verwandlung so weit geht, daß er sich sogar eine gehäkelte Klopapier-Puppe ins Auto stellt, das hat er nicht begriffen. Und er hat sich jetzt gedacht, vielleicht war das der Grund, daß die Kellnerin jede Nacht so einen Lärm gemacht hat. Vielleicht war es nicht nur die Lust. Vielleicht auch ein bißchen der Wunsch, daß ich sie erwische, praktisch: Befreie mich wieder von meiner Klopapier-Puppe.
    Vorn Schnaps und vom Dahinfahren ist der Brenner so träge geworden, daß er fast eingeschlafen wäre. Aber er hat sich zusammengerissen, weil er ja immer noch nicht recht gewußt hat, was er vom Horvath halten soll. Und in so einem Fall, wenn es um die eigenen Knochen geht, ist Einschlafen nie das Ideale.
    Nach einer guten Stunde sind sie bei einer alten verfallenen Keusche außerhalb von Straden angekommen.
    «Hier bin ich aufgewachsen», sagt der Horvath, nachdem sie beide ausgestiegen sind.
    «Jetzt schaut es aber unbewohnt aus.»
    «Schon fünfzehn Jahre. Seit mein Vater gestorben ist.»
    Eine Art Garage ist an die kleine Keusche angebaut gewesen, aber nur aus Holz und ohne Tor, wie man es früher gehabt hat, um die Heuwagen unterzustellen. Dieser Unterstand, in den der Horvath den Brenner hineingeführt hat, ist doppelt so groß wie das ganze Wohnhaus gewesen. An den Wänden sind noch ein paar verrostete Werkzeuge gehängt, zum Teil schon richtig überwachsen von dem Moos und Gras, das sich in den Jahren zwischen den Holzbalken breitgemacht hat.
    Weil natürlich, die Natur ist da erbarmungslos. Zuerst ist der Mensch erbarmungslos, baut alles in die Natur hinein, was ihm einfällt, aber die Natur auch nicht vornehm, wenn der Mensch kurz nicht hinschaut, ist schon wieder alles zugewachsen. Da sind wirklich einmal zwei Brutale zusammengekommen, und tut mir keiner leid.
    Wie der Horvath die rohe Brettertür an der Rückwand von der Holzgarage aufgestoßen hat, ist dem Brenner erst bewußt geworden, daß er schon die ganze Zeit ein leises Bachrauschen gehört hat. Direkt

Weitere Kostenlose Bücher