Der Koch
Besitzer war es egal gewesen, dass er bei Huwyler rausgeflogen war. Er hätte ihn genommen, als Küchenhilfe mit Aussicht auf Beförderung zum Koch. Aber in dem Augenblick, als Maravan auf die Gretchenfrage, wie er zu den Befreiungstigern stehe, mit einem Achselzucken antwortete, wusste er, dass er die Stelle nicht bekommen würde. Die LTTE war allgegenwärtig in der Diaspora. Wer hier auf die Hilfe seiner Landsleute angewiesen war, konnte es sich nicht leisten, sich von ihr zu distanzieren.
Vielleicht sollte er zurückkehren. Weniger Zukunft als hier würde er auch dort nicht haben.
JULI 2008
11
Ein Sommertag Ende Juli, die Temperaturen waren auf über fünfundzwanzig Grad gestiegen, obwohl noch immer eine leichte Bise wehte.
Barack Obama, der Präsidentschaftskandidat der Demokraten, sprach in Berlin vor zweihunderttausend Menschen und versprach ihnen eine Wende für die ganze Welt. Die brauchte es auch, denn vor wenigen Tagen war die zweitgrößte Hypothekenbank der USA zusammengebrochen, und ein paar weitere gerieten immer tiefer in Schwierigkeiten.
Die sri-lankische Armee meldete eine schwere Niederlage der LTTE im Mullaitivu-Distrikt. Und die LTTE berichtete über das dritte Amnestieangebot an desertierte sri-lankische Soldaten in diesem Jahr.
Maravan fischte mit einem Kaffeelöffel eine der gespaltenen gerösteten grünen Mungobohnen aus dem kochenden Wasser und kostete. Sie war gar, aber noch fest. Er goss das Wasser ab, breitete die Bohnen auf einer Silikonmatte aus und ließ sie abkühlen.
Er fügte geriebene Kokosnuss, Jaggery und feingemörserte Kardamomsamen dazu und vermischte alles gründlich in einer Schüssel. Danach verarbeitete er geröstetes Reismehl und kochendes Wasser zu einem festen Teig. Die Wassermenge musste genau stimmen: Mit zu viel Wasser ließ sich der Teig schlecht formen, mit zu wenig wurde er nach dem Dämpfen hart.
Maravan wusch sich die Hände und rieb sie mit etwas Kokosnussöl ein. Er rollte kleine Kugeln aus Reismehlteig und formte sie zu kleinen Gefäßen, die er mit der gewürzten Gram-Mischung füllte und zu spitz verlaufenden Kegeln verschloss. Er dämpfte sie, legte sie in die Thermobox und machte sich an die nächsten dreißig.
Maravan war der Lieferant von Mothagam geworden, der Lieblingssüßigkeit von Ganesh, dem elefantenköpfigen Herrn der Heerscharen.
Er produzierte jeden Morgen und jeden Abend etwa hundert Mothagam zum Gottesdienst, die die Gläubigen vor dem Tempel kaufen und Ganesh opfern konnten. Gemeindemitglieder, die Autos besaßen, wechselten sich ab, um kurz vor acht Uhr früh und kurz vor sechs Uhr abends die volle Thermobox abzuholen und die leere zurückzubringen.
Die Geschäftsidee stammte von ihm selbst. Um sie umzusetzen, musste er seine Schuld bei Ori weiter erhöhen. Er musste die Boxen anschaffen und eine Spende von tausend Franken an die LTTE machen. Dafür konnte er jetzt aber auch tamilische Lebensmittelgeschäfte und zwei ceylonesische Restaurants mit Teegebäck und anderen Süßigkeiten beliefern. Das Geschäft lief zwar noch nicht besonders, aber es zog ein wenig an. Vielleicht war es der Einstieg zu
Maravans Catering.
Es klingelte. Maravan sah auf die Uhr. Es war erst kurz nach fünf, der Tempelkurier war heute früh dran.
»Moment!«, rief er auf Tamilisch, wusch sich die Hände und öffnete die Tür.
Andrea.
Sie hatte einen Blumenstrauß in der Hand und eine Flasche Wein. Beides hielt sie ihm entgegen. »Ich weiß, du trinkst keinen Alkohol. Aber ich.«
Wie bei ihrem letzten unangemeldeten Besuch musste sie fragen: »Darf ich reinkommen?«, bevor Maravan aus seiner Erstarrung erwachte.
»Entschuldige.«
Er ließ sie in die Wohnung. Sie sah die offene Küchentür und seine Kochschürze und fragte: »Erwartest du Gäste?«
»Nein, ich mache Mothagam.« Er ging in die Küche, nahm zwei aus der Thermobox, legte sie auf ein Tellerchen und hielt es ihr hin. »Hier. Man kann es essen oder opfern.«
»Ich opfere es lieber«, entschied sie mit einem Lächeln.
»Ach so. Nein, nein, keine Angst, es ist harmlos.«
Doch Andrea nahm keines. »Hast du Zeit?«
»Noch zwanzig, dann habe ich Zeit. Willst du im Wohnzimmer warten?«
»Ich schau zu.«
Als es klingelte, war Maravan fertig. Das Gemeindemitglied, das das Konfekt zum Tempel brachte, war diesmal eine randliche Frau in mittleren Jahren, die ihm bekannt vorkam. Er erinnerte sich nicht, wo er sie schon einmal gesehen hatte. Wahrscheinlich hätte sie es ihm gesagt, aber
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