Der Koch
als sie Andrea in der Küche stehen sah, erlosch ihr Lächeln. Sie nahm die Thermobox entgegen und ging fast grußlos.
»Kann man bei dir ein Essen bestellen?«
Sie saßen in den Kissen vor dem niedrigen Tisch. Andrea hatte ein Glas Wein vor sich, Maravan seinen Tee. Bevor er sich gesetzt hatte, hatte er zeremoniell die Deepam vor seinem Hausaltar angezündet und etwas dazu gemurmelt.
»Das kann man. Eines Tages will ich sogar davon leben.«
»Ich meine ein besonderes Essen.«
»Ich versuche, jedes besonders zu machen.«
Sie trank einen Schluck Wein und stellte langsam das Glas ab. »Ich meine: auf die gleiche Art besonders wie das Essen für mich. Kann man das bei dir bestellen?«
Maravan überlegte. »Etwas Ähnliches schon.«
»Es müsste genau gleich sein.«
»Dazu brauche ich einen Rotationsverdampfer.«
»Was kostet so etwas?«
»Etwa sechstausend.«
»Aua.«
Andrea ließ den Rotwein im Glas kreisen und dachte nach. Sie hatte viele Verbindungen im Gastgewerbe. Da sollte doch so ein Ding aufzutreiben sein.
»Und wenn ich mir so ein Gerät ausleihe?«
»Dann wird es genau gleich.« Maravan schenkte ihr nach.
»Auch die Wirkung?«
Er hob die Schultern und lächelte. »Wir können es probieren.«
»Nicht wir, Maravan«, sagte sie behutsam.
12
Andreas Wohnung lag ungefähr in der Gegend, in der Maravan in seinen Träumen schon den kurkumagelben Lieferwagen mit der Aufschrift
Maravans Catering
sah. Sie befand sich im dritten Stock eines bürgerlichen Mehrfamilienhauses aus den zwanziger Jahren. Drei hohe Zimmer, ein Wintergarten, ein altmodisches Bad, ein wc mit einem fast unter der Decke angebrachten Spülkasten und eine große Küche mit Gasherd und einem neuen, frei stehenden Geschirrspüler, dessen Ablauf ins Spülbecken führte.
Es war die Art Wohnung, die man nur mit sehr viel Glück und guten Beziehungen bekam und bei der man ständig damit rechnen musste, dass das Haus, in dem sie sich befand, verkauft und renoviert und die Miete unerschwinglich wurde.
Andrea hatte sie bis zum Scheitern ihrer letzten Beziehung zu zweit bewohnt und fühlte sich darin nun etwas verloren. Sie lebte im Schlafzimmer und in der Küche. Manchmal noch im Wintergarten. Das Wohn-Ess-Zimmer benutzte sie kaum, und das leer geräumte Schlafzimmer von Dagmar betrat sie nie.
Aber heute war das Wohn-Ess-Zimmer von einem Meer von Kerzen erhellt. In seinem Zentrum standen Maravans niedrige Tischplatte und seine Sitzkissen. Auch die Tischdecke stammte aus seinen Beständen, selbst den Hausaltar mit der Göttin Lakshmi und der tönernen Lampe hatte sie ihm abgeschwatzt. Nur die Räucherstäbchen und die meditative indische Flöte hatte Maravan ihr ausreden können.
Küchenmaterial, Kissen und Tischplatte, Zutaten und die Speisen, die er zu Hause hatte vorfertigen können, hatten sie in Andreas Golf hierhertransportiert.
Schon gestern war er bei ihr gewesen und hatte die Lakritzeeislutscher zubereitet und tiefgefroren. Auch die Gebilde aus knusprigen und elastischen Urd-Folien, die er damals aus einer Eingebung »Mann und Frau« genannt hatte, hatte er schon gestern hergebracht und in den Kühlschrank gelegt.
Alles andere - die im flüssigen Stickstoff halbgefrorenen Safran-Mandel-Sphären mit den transparenten, safranfäden-durchzogenen Gheezylindern, die hochglänzenden Kugeln aus Ghee, Langpfeffer, Kardamom, Zimt und Palmzucker - machte er in Andreas Küche. Selbst das Teekonfekt, die rotglasierten Herzchen und die gelierten Spargel, servierte er frisch. Daneben musste er auch noch seine Mothagam herstellen. Andrea hatte heute den Transport in den Tempel übernehmen müssen, er wollte den Tempelkurier nicht in ihre Wohnung bestellen.
Seit zehn Uhr vormittags drehte sich der Rotationsverdampfer, den Andrea nach langem Suchen nicht bei einer ihrer Verbindungen zum Gastgewerbe, sondern bei einer Verehrerin ausgeliehen hatte, die an der Uni als Assistentin an ihrer Chemiedissertation arbeitete.
Maravan hatte der Versuchung widerstanden, die drei normalen Currygerichte aus kreativen Gründen ein wenig zu variieren, auch wenn diese als Einzige keine aphrodisischen Rezepte waren. Vielleicht war es gerade die Kombination mit diesen Speisen gewesen, der er die Wirkung auf Andrea zu verdanken hatte.
Um zwanzig Uhr war Andreas Gast eingetroffen. Es war eine sehr blonde, sehr nervöse, etwas füllige, mehr hübsche als schöne Endzwanzigerin, der man ansah, dass sie sich nicht wohl fühlte in der Situation. Sie
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