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Der Koch

Der Koch

Titel: Der Koch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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sehr bald« eine Buchung versprochen hatten, reagierten mit ähnlichen Ausflüchten auf Andreas Anruf.
     

25
    Maravan kniete vor seinem Hausaltar. Seine Stirn berührte den Boden. Er betete zu Lakshmi für Ulagu. Heute hatte ihn die Nachricht erreicht, dass Ulagu seit einem Tag verschwunden war. Am Morgen war er noch bei seinen Geschwistern gewesen, am Abend fehlte von ihm jede Spur.
    Wenn im Norden Sri Lankas ein vierzehnjähriger Junge verschwand, war die erste Angst, dass er umgekommen, und die zweite, dass er Soldat geworden war. Freiwillig oder unfreiwillig, bei den Tamil Tigers oder bei denen, die sie zusammen mit der sri-lankischen Armee bekämpften, den Karuna-Rebellen.
    Maravan betete dafür, dass es nicht so war. Dafür, dass er sich in diesem Moment, in dem er für ihn betete, bereits wieder wohlbehalten bei seiner Familie befand.
    Aus der Küche ertönte die Melodie seines Handys. Er kümmerte sich nicht darum, schloss sein Gebet ab und begann mit verhaltener Stimme sein Mantra zu singen.
    Als er geendet hatte, richtete er sich auf, faltete die Hände vor der Brust, verneigte sich und berührte die Stirn. Er stand auf und ging zurück in die Küche, zu seinen Vorbereitungen für das Essen von übermorgen, die er für das Gebet unterbrochen hatte.
    Auf dem kalten Herd standen vier Eisentöpfe, jeder mit einem andersfarbigen Curry: Ein Lammcurry mit Joghurt für Hellbraun. Ein Fischcurry mit Kokosmilch für Gelb. Ein Gemüsecurry für Grün. Ein Hummercurry aus Goa für Orange.
    Er wollte daraus vier Gelifikationen machen und jede davon mit ihrer Hauptzutat belegen: Einer rosa gegarten Scheibe Lammfilet auf die hellbraune, einem gedämpften Heilbuttbäckchen auf die gelbe, einer mit rosa Linsen gefüllten Okra für die grüne, einer Hummer-Rosette für die orangefarbene.
    Er machte wieder Feuer unter den Töpfen und wartete abwesend, bis erneut die ersten Blasen stiegen.
    Das Handy auf dem Arbeitskorpus fiel ihm ein. Ein entgangener Anruf, vermeldete es, und eine Textnachricht.
    stopp essen abgesagt a
    Maravan ging zum Herd und drehte das Gas ab. Es war ihm egal.
     
    Auch am dritten Tag nach Ulagus Verschwinden gab es keine Spur.
    Am vierten kamen die Tiger.
    Maravan experimentierte in seiner Küche mit verschiedenen Gelifikationsdosierungen, als es klingelte. Vor der Wohnungstür standen zwei Landsleute. Einen kannte er. Er hieß Thevaram und war der LTTE-Mann, der ihm den Mothagam-Job für den Tempel vermittelt und dafür die Spende von tausend Franken eingestrichen hatte.
    Der andere trug ein Aktenköfferchen. Thevaram stellte ihn als Rathinam vor. »Dürfen wir reinkommen?«
    Maravan ließ sie widerstrebend herein.
    Thevaram warf einen Blick in die Küche. »Gut eingerichtet. Das Geschäft scheint zu laufen.«
    »Was kann ich für Sie tun?«, fragte Maravan.
    »Einen Catering-Service haben Sie aufgezogen, hört man.« Der, den Thevaram als Rathinam vorgestellt hatte, sagte nichts, sah Maravan nur unverwandt an.
    »Ich koche manchmal für Leute«, sagte Maravan. »Kochen ist mein Beruf.«
    »Und mit Erfolg. Über sechstausend Franken nach Hause geschickt in den letzten Wochen, gratuliere!«
    Es überraschte Maravan nicht, dass der Batticaloa-Basar diese Leute mit Details versorgte. »Meine Großtante ist sehr krank«, antwortete er nur.
    »Und Ori das ganze Darlehen zurückbezahlt, gratuliere noch einmal!«
    Ori also auch, dachte Maravan und wartete.
    »Gestern war Mavirar«, fuhr Thevaram fort, »Tag der Helden.«
    Maravan nickte.
    »Wir wollten Ihnen die Rede von Velupillai Pirapaharan bringen.« Thevaram blickte zu seinem Begleiter. Dieser öffnete sein Aktenköfferchen und entnahm ihm einen Computerausdruck. Am Kopf der ersten Seite ein Porträt des untersetzten LTTE-Führers im Tarnanzug, darunter viel Text.
    Maravan nahm das Papier entgegen. Die beiden gaben ihm die Hand.
    »Noch einmal herzliche Glückwünsche zum Erfolg. Wir drücken die Daumen, dass die Behörden nichts von Ihrer lukrativen Tätigkeit erfahren. Sie wissen ja, wie stur die hier sind. Vor allem, wenn einer daneben noch stempelt.«
    In der Tür sagte Rathinam zum ersten Mal etwas: »Lesen Sie die Rede. Vor allem den Schluss.«
    Maravan hörte ihre Schritte im Treppenhaus und dann das gedämpfte Dingdong einer Türklingel eine Etage tiefer.
    Der Schluss der Rede lautete: »An diesem historischen Scheideweg fordere ich die Tamilen auf, an welchem Ort der Welt sie auch immer leben mögen, fest und entschlossen ihre Stimme zu

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