Der Koch
Kerzenleuchter. Das Kerzenlichtkonzept hatten sie beibehalten.
»Und?«, fragte Andrea.
»Schön«, antwortete er.
»Nicht kitschig?«
»Kitschig?« Maravan kannte das Wort nicht. »Sehr schön«, bekräftigte er noch einmal und ging zurück in die Küche.
Für die Amusebouches blieb er bei den Minichapatis. Aber anstatt die Curryblätter-Zimt-Kokosöl-Essenz aus der Pipette daraufzuträufeln, entfettete er sie, ließ sie in Calcium-chloridwasser zu Kaviarperlen gerinnen, rieb etwas Kokosfett darüber und schmückte damit die warmen Minichapitis.
Die Herstellung dieses falschen Kaviars musste er auf den letzten Moment hinausschieben, damit die Kügelchen nicht durchgelierten. Sie mussten innen flüssig sein und zwischen Zunge und Gaumen zerplatzen. Andrea kam schon wieder herein. Sie hatte ihr Telefon in der Hand und ein ungläubiges Lächeln auf dem Gesicht. »Das glaubst du jetzt nicht.«
Maravan arbeitete weiter, ohne aufzublicken. »Da ruft einer an und sagt: >Sie machen doch so Sexessen.<«
»Was hast du gesagt?« »Er sei falsch verbunden.« »Gut.«
»>Ich bin doch mit
Love Food
verbunden?<, hat er geantwortet.«
»Woher hatte er die Nummer?« »Von dem Freund eines Freundes.« »Nämlich?«
»Das tue nichts zur Sache, meinte er. >Machen Sie jetzt Sexessen oder nicht?<« Andrea sagte es mit tiefer Stimme in einem breiten, etwas ordinären Dialekt.
»Und dann?«
»Habe ich nein gesagt.«
»Siehst du seine Nummer auf dem Display?«
»Ja.«
»Dann schau doch im Internet nach, wer es war.« »Geht nicht. Es ist eine Handynummer.«
Es dauerte über eine halbe Stunde, bis alle Gäste eingetroffen waren. Maravan hörte durch die geschlossene Küchentür die spitzen Wiedersehensschreie und das überdrehte Lachen der Ankommenden. Ab und zu brachte Andrea eine leere Champagnerflasche in die Küche und ging mit einer vollen wieder hinaus.
Endlich streckte sie den Kopf herein und sagte: »Los!«
Das war Maravans Startzeichen.
Fast drei Stunden später setzte er sich auf einen Küchenstuhl, zufrieden mit seiner Leistung und dem reibungslosen Ablauf der Speisenfolge. Da kam Andrea herein, strahlend und ein bisschen beschwipst, nahm ihn bei der Hand und führte ihn ins Esszimmer.
Dort saßen die zwölf Frauen stumm im schmeichelhaften Licht der Kerzen und wandten ihre Gesichter der Tür zu.
»Meine Damen, darf ich vorstellen: Meister Maravan!«, rief Andrea aus.
Der Jubel und Applaus, der dieser Vorstellung folgte, machten Maravan so verlegen, dass er ihn steif und ernst entgegennahm.
Andrea erhielt am nächsten Tag Anrufe, und am übernächsten Briefe von ihren begeisterten Gästen. Die meisten kündigten an, schon sehr bald, zwei sagten sogar sehr, sehr bald, die Dienste von
Love Food
in Anspruch nehmen zu wollen. In einem Fall gab es auch schon einen verbindlichen Termin: in zehn Tagen, am 27. November, neunzehn Uhr dreißig, vier Personen.
Der Erfolg war allerdings nötig. Für das Essen hatte
Love Food,
Champagner und Wein inbegriffen, über zweitausend Franken investiert. Weder Andrea noch Maravan hatten einen nennenswerten Betrag auf der hohen Kante. Sie hatten in Anbetracht der guten Geschäftslage etwas viel Geld ausgegeben. Und
Love Food
hatte in das eine oder andere Hightechküchengerät investiert, das sich die Firma in der heutigen Situation nicht geleistet hätte.
Sie waren auch gezwungen, die Preispolitik zu ändern. Die Ansätze für die nichttherapeutischen Essen mussten natürlich niedriger sein. Andrea hatte kalkuliert, dass sie diese Einbuße durch die höhere Anzahl Gäste ausgleichen würde. Einen Schnitt von sechs hatte sie errechnet. Da war die erste Reservierung für vier kein guter Start.
Als eine Woche nach dem Promotionsessen noch immer kein weiterer Auftrag eingegangen war, wurde Andrea nervös. Sie rief die Bekannte an, die »schon sehr, sehr bald« eine Buchung angekündigt hatte, und sagte: »Ich habe für dich in den nächsten zehn Tagen ein paar Daten offengehalten und wollte einfach sicher sein, dass du nichts geplant hast, bevor ich sie vergebe.«
»Ach«, sagte die Stimme am anderen Ende,
»so lieb,
dass du anrufst. Wir haben da ein paar Terminschwierigkeiten. Ich möchte nicht, dass du wegen mir etwas ablehnst. Weißt du, was? Vergib die Termine, und ich probier's, sobald wir den Überblick haben. Wenn es bei euch dann nicht geht, was mich nicht überraschen würde: selber schuld.«
Die anderen Kundinnen, die mit einem »sehr« weniger, aber immerhin »schon
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