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Der Koch

Der Koch

Titel: Der Koch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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nannte. Makeda war gebucht. Sie hatte sich vor einer Stunde von ihr trennen müssen. Makeda trug ein hochgeschlossenes langes schwarzes Kleid, und der Gedanke, dass sie die Nacht mit einem dieser alten reichen Säcke verbringen würde, von denen es hier oben wimmelte, trieb sie in den Wahnsinn.
    Andrea hatte die Getränke beigesteuert für die Silvesterparty der einsamen Herzen. Zwei Flaschen Champagner für sich, zwei Flaschen Mineralwasser für Maravan. Mit Kohlensäure.
    Sie saß auf dem einzigen Sessel des Raumes, Maravan auf dem Bett. Zwischen ihnen das runde Clubtischchen.
    Es war kalt im Zimmer. Maravan hatte in seiner Manie, dass es im Raum nicht nach Essen riechen durfte, bis kurz vor ihrer Ankunft das Fenster geöffnet gehabt. Draußen waren es bestimmt fünfzehn Grad unter null. Sie hatte ihn um sein Federbett bitten müssen, das sie jetzt wie eine Stola über den Schultern trug.
    Sie aßen mit der Hand, wie beim ersten Mal. Das Curry schmeckte wie etwas aus ihrer Jugend. Dabei hatte sie in ihrer Jugend nie Curry gegessen. Außer dem Tellergericht einer Restaurantkette, das sich »Riz Colonial« nannte, ein Reisring mit Hühnergeschnetzeltem an einer gelben Sauce mit viel Sahne und Dosenfrüchten.
    Sie erzählte es Maravan.
    »Vielleicht ist es der Zimt«, meinte er. »Es ist viel Zimt drin.«
    Genau, es war der Zimt. Milchreis mit Zucker und Zimt, eines der Lieblingsgerichte ihrer Kindheit. Und das Weihnachtsgebäck. Und die Lebkuchen. »Ist heute bei euch auch Silvester?«
    »Früher in Colombo, vor dem Krieg, feierten wir alle die religiösen Feste von allen. Die der Hindus, Buddhisten, Moslems und Christen. Jedes Mal war schulfrei. In der Silvesternacht waren wir alle auf der Straße und machten Feuerwerk.«
    »Schön. Glaubst du, es wird wieder einmal so?«
    Maravan überlegte lange. »Nein«, entschied er schließlich. »Nie wird etwas wieder, wie es einmal war.«
    Andrea dachte darüber nach. »Stimmt«, sagte sie. »Aber manchmal wird es auch schöner.«
    »Diese Erfahrung habe ich noch nie gemacht.«
    »Ist es jetzt nicht schöner als im Huwyler?«
    Maravan hob die Schultern. »Die Arbeit schon. Dafür sind die Sorgen größer.« Und er erzählte ihr von Ulagu, seinem Lieblingsneffen, der Kindersoldat geworden war.
    »Und da kann man nichts machen?«, fragte Andrea, als er geendet hatte.
    »Doch, ich mache ja etwas. Aber ob es hilft...«
    »Warum hast du keine Frau?«, fragte Andrea nach einer Pause.
    Maravan lächelte sie vielsagend an und schwieg. Andrea begriff. »Nein, Maravan, schlag es dir aus dem Kopf. Ich bin vergeben.«
    »An eine, die mit Männern schläft.«
    »Für Geld.« »Noch schlimmer.«
    Andrea wurde wütend. »Du tust ja auch Dinge für Geld, die du sonst nie tun würdest.«
    Maravan machte eine Kopfbewegung zwischen Nicken und Kopfschütteln.
    »Ich weiß nie, was das bedeutet bei euch. Ja oder nein?«
    »Nein sagen ist bei uns nicht höflich.«
    »Nicht ganz einfach für ein Mädchen.« Sie lachte auf. »Und trotzdem hast du keine Freundin.«
    Maravan blieb ernst. »Bei uns sind es die Eltern, die die Ehen arrangieren.«
    »Im einundzwanzigsten Jahrhundert? Du nimmst mich auf den Arm.«
    Maravan zuckte mit den Schultern.
    »Und das lasst ihr euch gefallen?«
    »Es funktioniert nicht schlecht.«
    Andrea schüttelte ungläubig den Kopf. »Und warum hat man für dich noch keine arrangiert?«
    »Ich habe keine Eltern und keine Familie hier. Niemanden, der bezeugen kann, dass ich nicht geschieden bin oder uneheliche Kinder habe oder einen unmoralischen Lebenswandel führe oder in der richtigen Kaste bin.«
    »Ich dachte, die Kasten seien abgeschafft?«
    »Schon. Aber du musst in der richtigen abgeschafften Kaste sein.«
    »In welcher abgeschafften bist du?«
    »Das fragt man nicht.«
    »Und wie weiß man es dann?«
    »Man fragt jemand anderen.«
    Andrea lachte und wechselte das Thema. »Wollen wir raus, das Feuerwerk anschauen?«
    Maravan schüttelte den Kopf. »Ich habe Angst vor Explosionen.«
    Es hatte wieder zu schneien begonnen. Die Raketen verglühten und zerbarsten und verglitzerten hinter einem Flockenschleier, der sich nur da und dort etwas grün oder rot oder gelb verfärbte.
    Die Kirchenglocken läuteten das neue Jahr ein, von dem man nichts wusste, als dass es eine Sekunde länger dauern würde als das vergangene.
    Dalmann feierte in einem der Hotelpaläste und ging jetzt an der Seite von Scheiben, einem Investor aus Norddeutschland, durch die laute Lobby voller

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