Der Koch
solche Fälle. Von Mädchen, die hier geboren und aufgewachsen waren und sich weigerten, sich den Traditionen und Gepflogenheiten einer Kultur und eines Landes zu fügen, die ihnen fremd waren. Sie nahmen den Bruch mit der Familie in Kauf und zogen mit dem Mann zusammen, den sie liebten.
Meistens waren es Männer von hier. Aber auch in Fällen, wo eine Tamilin ohne den Segen ihrer Eltern mit einem Tamilen lebte, gar einem aus der falschen Kaste, wurde das Paar aus den Familien und der Gemeinschaft ausgestoßen.
Würde er das wollen? Würde er mit einer Frau leben wollen, die aus der Gemeinschaft ausgeschlossen war? Sie müssten den vielen religiösen und gesellschaftlichen Anlässen fernbleiben oder es in Kauf nehmen, dass sie dort geschnitten wurden. Könnte er das?
Wenn er die Frau lieben würde, könnte er es.
Er sah Sandana vor sich. Rebellisch und resigniert, wie beim Pongal. Entschlossen und verunsichert wie gestern. Mit ihrem leichten Schweizer Akzent, wenn sie Tamil sprach. In ihren Jeans und dem Pullover, die so falsch aussahen an ihr.
Doch, er könnte es.
Endlich rief sie zurück.
»Sie hätten mich wecken sollen. Ich hätte Ihnen Egghoppers gemacht.«
»Ich hab reingeschaut, aber Sie haben tief geschlafen.«
Sie plauderten, wie Verliebte nach der ersten Liebesnacht.
Plötzlich sagte sie: »Ich muss aufhören, die Pause ist vorbei. Sind Sie über Mittag zu Hause? Ich möchte die Tasche holen. Ich kann zu einer Arbeitskollegin ziehen.«
34
Die Zeit, die Maravan vom Inhaber des Batticaloa-Basar genannt bekommen hatte, lag ungünstig für den Terminkalender von
Love Food:
elf Uhr vormittags.
Sie hatten einen Auftrag am Falkengässchen, und Maravan sollte um diese Zeit eigentlich in der Küche stehen und mitten in den Vorbereitungen stecken. Es hatte ihm einiges an Organisation abverlangt, und einiges an Flexibilität von Andrea, damit er jetzt pünktlich mit Kopfhörer und Notizblock vor seinem Computer sitzen konnte, mit klopfendem Herzen und fahrigen Händen.
Er wählte die Nummer, die Verbindung klappte auf Anhieb. Die Stimme des Ladenbesitzers meldete sich, Maravan nannte seinen Namen, und ein paar Sekunden später sagte die tränenerstickte Stimme seiner älteren Schwester: »Maravan?«
»Ist etwas mit Ulagu?«, fragte er. Er hörte Schluchzen und wartete. »Nangay«, brachte sie heraus.
Nein, dachte er, nein, nicht Nangay. »Was ist mit ihr?«
»Sie ist tot«, stammelte sie. Dann wieder nur Schluchzen.
Maravan verbarg das Gesicht in den Händen und schwieg. Schwieg, bis er die Stimme seiner Schwester hörte, jetzt klarer und gefasster. »Bruder? Sind Sie da?«
»Wie?«, fragte er.
»Das Herz. Sie lebte, und eine Sekunde später war sie tot.«
»Aber ihr Herz war doch stark.«
Nach einer Pause sagte Maravans Schwester: »Ihr Herz war schwach. Sie hatte einen Infarkt vor zwei Jahren.« »Das hätte sie mir doch gesagt!« »Sie wollte nicht, dass Sie es erfahren.« »Weshalb nicht?«
»Sie hatte Angst, Sie würden zurückkommen.«
Als Maravan das Gespräch beendet hatte, ging er ins Schlafzimmer, nahm Nangays Foto von der Wand und stellte es vor den Hausaltar. Dann kniete er nieder und machte eine Andacht für Nangay. Er fragte sich, ob sie wohl recht gehabt hätte. Wäre er zurückgegangen, wenn er von ihrem Infarkt erfahren hätte?
Wahrscheinlich nicht.
An diesem Abend variierte Maravan das
Love Menu.
Er kochte alle Gänge genau so, wie sie ihm Nangay damals durchgegeben hatte.
Das Püree aus in gezuckerter Milch eingelegten Urd-Linsen bereitete er nicht als »Mann und Frau« zu, sondern trocknete sie portionenweise im Backofen.
Die Mischung aus Safran, Milch und Mandeln servierte er einfach als warmes Getränk. Und aus dem Safranghee machte er eine Paste, die man mit heißer Milch einnahm.
Er benutzte weder Rotationsverdampfer noch Gelifikation, verfremdete weder Texturen noch Aromen.
Das Essen heute Abend war eine Hommage an die Frau, der er alles zu verdanken hatte. Er wollte, wenigstens heute, ihre Kunst nicht missbrauchen für etwas, das sie nie gebilligt hätte.
Die ganze Zeit über lagen Curryblätter und Zimt im heißen Kokosöl und erfüllten die ganze Wohnung mit dem Duft seiner Jugend. Zum Andenken an Nangay.
Andrea hatte sofort bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Maravan war während der Vorbereitungszeit lange ausgeblieben. Als er endlich kam, roch nach kurzer Zeit die ganze Wohnung intensiver nach Curry als seine manisch gelüfteten Küchen je
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