Der Koch
Kochen.«
»Als ich das erste Mal sah, wie meine Großtante
Aalang-gai Puttu
machte, war ich vielleicht fünf. Sie verwandelte Reis und Linsen in Mehl, geriebene Kokosnuss in Milch und alles in einen Teig und diesen in viele kleine Kugeln, die sie mit Dampf und Kokosmilch und Palmzucker in süße falsche Banyanfeigen verwandelte. Damals lernte ich, dass Kochen nichts anderes ist als Verwandeln. Kaltes in Warmes, Hartes in Weiches, Saures in Süßes. Deswegen bin ich Koch geworden. Weil mich das Verwandeln fasziniert.«
»Sie sind ein wunderbarer Koch.«
»Das heute war nichts. Ich möchte weitergehen. Das Verwandelte weiterverwandeln. Das Weiche, zu dem das Harte verwandelt ist, in etwas Knuspriges. Oder in etwas Schaumiges. Oder in etwas Schmelzendes. Verstehen Sie? Ich will« - er suchte nach den richtigen Worten -, »ich will aus dem Vertrauten etwas Neues machen. Aus dem Erwarteten etwas Überraschendes.« Er war selber erstaunt über seinen Redefluss. Und vor allem über dessen Inhalt. Noch nie hatte er es so ausdrücken können.
»Wir gehen jetzt«, sagte eine Stimme hinter ihnen. Sie gehörte Sandanas Vater, der unbemerkt an ihren Tisch getreten war.
»Vater, das ist Maravan. Er hat heute für uns alle gekocht. Maravan, das ist mein Vater, Mahit.«
Maravan stand auf und wollte dem Mann die Hand geben. Aber der übersah sie und wiederholte: »Wir gehen jetzt.«
»Gut. Ich komme später nach.« »Nein. Sie kommen jetzt mit.«
»Ich bin zweiundzwanzig.« »Sie kommen mit.«
Maravan sah, wie Sandana mit sich kämpfte. Schließlich hob sie die Schultern, ließ sie fallen und sagte: »Auf ein anderes Mal.« Und folgte ihrem Vater.
Maravan übte Drinks. Die Kunden für das
Love Menü
begnügten sich nicht immer mit Champagner und Wein. Sie fragten nach Cocktails und Aperitifs. Maravans Ehrgeiz ließ es nicht zu, einfach Camparis oder Bloody Marys zu servieren.
Gerade mixte er dicke Kokosmilch mit Crushed Ice, Arrack, Ginger Ale, weißem Tee, Xanthan und Guran. Er würde die pastellgelbe Masse zwölf Stunden bei minus zwanzig Grad gefrieren und dann auf Porzellanlöffeln mit etwas Knallbrause als elektrisches Arrack-Konfekt servieren. Andrea würde, wie für alles Alkoholische, das Versuchskaninchen sein.
Es klingelte. Maravan sah auf die Uhr: fast halb elf Uhr abends. Er sah durch den Spion - niemand. Er nahm den Hörer der veralteten Gegensprechanlage und rief: »Ja?«
Durch das statische Rauschen und Knacken vernahm er eine Frauenstimme. Aber er verstand nicht, was sie sagte.
»Lauter, bitte!«, rief er. Jetzt verstand er ein Wort, das »Andrea« heißen konnte. Andrea? Um diese Zeit? Ohne Voranmeldung?
Er drückte auf den Türöffner und wartete auf der Schwelle. Er hörte rasche leichte Schritte auf der Treppe. Und dann sah er seinen späten Gast: Sandana.
Sie war westlich gekleidet, Jeans, Pullover und die Steppjacke, die er von ihrer ersten Begegnung her kannte. Die traditionelle Kleidung stand ihr besser, fand er.
Er bat sie herein. Jetzt erst bemerkte er, dass sie eine Reisetasche trug. Sie stellte sie ab und begrüßte ihn mit drei Schweizer Küsschen. Es sollte ganz selbstverständlich wirken, aber es geriet ihr etwas ungelenk.
»Kann ich hier übernachten?«, war ihre erste Frage.
Er musste so überrascht ausgesehen haben, dass sie hinzufügte: »Auf der Couch oder auf dem Boden, ganz egal.«
Maravan kannte sich aus mit tamilischen Hindufamilien und sah eine Lawine von Konsequenzen auf sich zudonnern. »Weshalb schlafen Sie nicht zu Hause?«
»Ich bin ausgezogen.«
»Ich gebe Ihnen Geld für ein Hotel.«
»Geld habe ich selbst.«
Maravan fiel ein, dass sie ihm erzählt hatte, sie arbeite in einem Reisezentrum der Bahn.
Sandana sah ihn flehend an. »Sie müssen nicht mit mir schlafen.«
Er lächelte. »Gott sei Dank!«
Sandana blieb ernst. »Aber Sie müssen sagen, Sie hätten.« Er half ihr aus der Jacke und führte sie in die Küche. »Lassen Sie mich das hier beenden, dann erzählen Sie mir alles.« Er schaltete den Mixer wieder ein, ließ ihn noch ein paar Augenblicke laufen und füllte den Inhalt in eine flexible Form.
»Sind Sie am Verwandeln?«
»Ja. Kokosschnaps in Schnapskokos.«
Zum ersten Mal lächelte sie ein wenig.
Maravan stellte die Form in den Tiefkühler und führte Sandana in sein Wohnzimmer. Als er die Tür öffnete, flackerte die Flamme der Deepam im Durchzug. Maravan schloss das Fenster.
»Setzen Sie sich doch. Möchten Sie Tee? Ich wollte mir gerade
Weitere Kostenlose Bücher