Der Koch
Informationen über die beiden waren spärlich, aber so viel erfuhr man: Carlisle hatte die Panzer im Namen der Herstellerfirma ganz legal von der für die Verschrottung oder Rückführung ins Herstellerland zuständigen Behörde zu einem Spottpreis erworben und via USA mit bestimmt gewaltigem Gewinn an den Thailänder Waen verkauft. Der die Ware in seine Heimat weiterbefördert hatte.
Dort verlor sich die Spur der M109, aber die Vermutung lag nahe, dass sie weiterverkauft und auf eines der als »schwimmende Warenhäuser« bezeichneten Schiffe verladen wurden, die im Golf von Bengalen ihre Kunden bedienten. Bis zum Fall der Hafenstädte Mullaitivu und Chalai vor kurzem waren die Abnehmer vorwiegend die LTTE gewesen.
Dalmann legte den
Freitag
befriedigt neben den Frühstücksteller und nahm sich die Tageszeitung vor. Am Tag zuvor, kurz vor der ersten Turnstunde, war in St. Gallen das Dach einer Turnhalle unter der Schneelast eingebrochen. Niemand wurde verletzt.
Sandana saß am Schalter zwölf. Andrea hatte sie in ihrer Uniformbluse und dem dazugehörenden biederen Schal erst auf den zweiten Blick erkannt.
Auf den Stühlen des Reisecenters saßen die Wartenden mit ihrer Nummer in der Hand und sahen jedes Mal auf, wenn der Summer ertönte und eine der Nummern auf der Anzeigetafel eine Ziffer weiter sprang.
Andrea hatte mehrere, nicht aufeinanderfolgende Nummern gezogen für den Fall, dass sie an einen falschen Schalter zitiert wurde.
Dass sie hier war, hatte sie wieder mal ihrer Eigenschaft zuzuschreiben, sich in das Leben anderer Leute einzumischen. Makeda wollte für sie an einem freien Abend äthiopisch kochen und hatte beiläufig erwähnt, man könne ja auch Maravan und seine Freundin dazu einladen.
Andrea hatte die Idee gefallen, war sich aber fast sicher, dass Maravan ablehnen würde. Erstens, weil er sich nach wie vor weigerte, Sandana als seine Freundin zu bezeichnen. Zweitens, weil er Andreas Verhältnis mit Makeda nur deshalb nicht missbilligte, weil er es ignorierte.
Die Lage in seiner Heimat bedrückte Maravan. Aber Andrea vermutete, dass auch in seiner Beziehung zu Sandana nicht alles glatt lief. Und sein Beruf als »Sexkoch«, wie er es manchmal bitter nannte, machte ihn auch nicht glücklich.
Ein Abendessen zu viert würde vielleicht helfen, das Arbeitsklima zu verbessern.
Sie war also hier, um Maravan zuvorzukommen. Sie wollte Sandana einladen und ihn dann vor vollendete Tatsachen stellen.
Gleich die erste ihrer Nummern war für Schalter zwölf. Sandana erkannte sie, erinnerte sich sogar an ihren Namen. »Was kann ich für Sie tun?«
»Etwas Privates«, sagte Andrea. »Meine Freundin kocht morgen äthiopisch, ich möchte Sie und Maravan gerne dazu einladen.«
Sandana war etwas verwirrt.
»Bitte kommen Sie.«
»Will Maravan denn auch, dass ich komme?« Andrea zögerte keine Sekunde. »Ja.«
»Dann komme ich gerne.« »Wir freuen uns alle.«
Die Ausläufer des Sturmtiefs »Emma« waren am Nachmittag über das Land gezogen. Noch immer ließen ab und zu Böen die Kerzen in Andreas zugiger Wohnung flackern. Sie saßen um den Esstisch herum, Makeda und Andrea rauchten, Sandana und Maravan tranken Tee. Sie waren in der behaglichen Stimmung, in die ein gutes Essen einen versetzt.
Es war eine elegante Gesellschaft, die sich in dieser Sturmnacht zusammengefunden hatte. Makeda trug einen bodenlangen bestickten Tibeb, Sandana einen hellblauen Sari, Andrea ein tief ausgeschnittenes Abendkleid, und Maravan hatte alle mit Anzug und Krawatte überrascht.
Als Andrea ihn eingeladen hatte, hatte er, ohne zu zögern, abgelehnt.
»Schade«, hatte Andrea gesagt, »Sandana kommt auch.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Sandana ist ein anständiges tamilisches Mädchen.«
Andrea lächelte. »Dann wäre es vielleicht klüger, du begleitest sie.«
Bis jetzt hatte er es nicht bereut, dass er gekommen war. Das Essen hatte ihm geschmeckt. Es war gar nicht so anders als das in seiner Heimat. Auch scharf, auch mit Zwiebeln, Knoblauch, Ingwer, Kardamom, Nelken, Gelbwurz, Bockshornklee, Kreuzkümmel, Chili, Muskatnuss und Zimt zubereitet.
Mit Ghee wurde auch gekocht. Nur hieß er Niter Kibeh und war gewürzt.
Und man aß ebenfalls ohne Besteck. Sogar ohne Geschirr. Der Tisch, der mit weißem Papier bespannt war, war ausgelegt mit Injeras, großen Sauerteigfladen aus Teff, einer Hirsesorte, die fast nur noch in Äthiopien angebaut wurde. Die Speisen lagen direkt auf den Fladen, von denen die Gäste
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