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Der Koch

Der Koch

Titel: Der Koch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Stücke abrissen und darin ihre Bissen einrollten, als drehten sie sich große, essbare Joints.
    »Bei uns machen wir manchmal eine einzige Injera, so groß wie ein Tischtuch. Aber mit den hiesigen Kochherden geht das ja nicht«, hatte Makeda erklärt.
    Auch die Gesellschaft war angenehm. Keine von Maravans Befürchtungen war eingetroffen. Sandana war nicht schockiert, weder von der Tatsache, dass die Gastgeberinnen ein Paar waren, noch von Makedas Beruf, der nicht lange ein Geheimnis blieb. Die drei Frauen begegneten sich ganz unbefangen, wie alte Freundinnen. Maravan entspannte sich.
    Sandanas vorurteilslose Art hatte auch ihm geholfen, seine Vorbehalte gegenüber Makeda abzulegen. Und das Essen hatte seinen Teil dazu beigetragen. Wer so kochte, konnte nicht ganz schlecht sein.
    Doch irgendwann kamen die Frauen auf ein Thema zu sprechen, das Maravans Entspanntheit störte.
    »Maravan sagt, dass bei euch die Eltern entscheiden, wen ihr heiratet?« Es war Andrea, die die Frage gestellt hatte.
    »Leider«, seufzte Sandana.
    »Und wie finden die Eltern den Richtigen?«, fragte Makeda.
    »Über Verwandte, Bekannte, manchmal über spezialisierte Agenturen, manchmal übers Internet. Und wenn sie einen gefunden haben, der in Frage kommt, dann muss noch das Horoskop stimmen und die Kaste und so weiter.«
    »Und die Liebe?«
    »Die Liebe gilt als unzuverlässige Ehestifterin.« »Und ihr beide?«, fragte Makeda.
    Sandana sah Maravan an, der den Tisch vor sich studierte. Sie schüttelte den Kopf.
    Ein Windstoß rüttelte am Fenster und blähte den Vorhang ein wenig.
    »Hier kannst du doch heiraten, wen du willst«, stellte Andrea fest.
    »Schon. Wenn es dir egal ist, dass du deine Familie in Verruf bringst und die Heiratsaussichten deiner Geschwister ruinierst.« Nach einer kurzen Pause fügte Sandana hinzu: »Und deinen Eltern das Herz brichst.«
    »Und das eigene Herz?«, fragte Andrea.
    »Kommt an zweiter Stelle.«
    Eine kurze Zeit war nur das ferne Schlagen eines Fensterladens zu hören, mit dem die Böen ihren Unfug trieben. Dann fragte Makeda: »Und du? Wie kommt es, dass du von zu Hause ausziehen konntest?«
    Jetzt senkte auch Sandana die Augen. Leise sagte sie: »Bei mir kommt das Herz nicht an zweiter Stelle.«
    In die verlegene Stille sagte Makeda aufmunternd: »Man muss ja nicht verheiratet sein, um miteinander ins Bett zu gehen.«
    »Dann lässt du dich aber besser nicht erwischen. Das ist genauso schlimm, wie zwischen verschiedenen Kasten zu heiraten. Es bringt Schande über die ganze Familie. Auch über die, die in Sri Lanka geblieben ist.« Nach einer kurzen Pause fügte Sandana bitter hinzu: »Aber wenn es dort so weitergeht, ist bald niemand mehr übrig, über den man Schande bringen könnte.«
    »Noch etwas Tee oder sonst etwas?«, erkundigte sich Andrea aufgeräumt.
    Maravan sah Sandana fragend an. Wenn sie ja gesagt hätte, hätte er auch noch einen genommen.
    Aber Sandana sagte weder ja noch nein. Sie sagte etwas Unerwartetes: »Man schreibt nichts über diesen Krieg, man bringt nichts im Fernsehen über diesen Krieg, die Politiker reden nicht über diesen Krieg, und als Tischgespräch ist er offenbar auch nicht geeignet, dieser Krieg!«
    Sandana hatte sich in ihrem Stuhl aufgerichtet und ihre schönen Brauen zusammengezogen. Maravan legte die Hand auf ihre Schulter, und Andrea machte ein schuldbewusstes Gesicht.
    »Es ist ein Dritte-Welt-Krieg«, sagte Makeda. »Ich wurde auch von einem Drittweltkrieg vertrieben, der totgeschwiegen wurde. Dritte-Welt-Kriege sind nun mal kein Thema für die Erste Welt.«
    »Aber ein Geschäft schon.« Sandana griff nach der Handtasche, die an ihrer Stuhllehne hing, wühlte kurz darin und brachte ein gefaltetes Papier zum Vorschein. Es war der Bericht über »Die Schrott-Connection«, den sie aus dem
Freitag
herausgerissen hatte.
    »Hier.« Sie hielt Andrea die Seiten hin. »Man verkauft seine schrottreifen Panzer auf Umwegen nach Sri Lanka. Aber den Leuten, die vor diesem Krieg hierherflüchten, glaubt man nicht, dass sie in Gefahr sind.«
    Andrea begann den Bericht zu lesen, ihre Freundin blickte ihr über die Schulter.
    »Die kenne ich«, sagte Makeda und zeigte auf die Fotos von Waen und Carlisle.
    Andrea und Sandana sahen sie erstaunt an. »Die? Woher?«, fragte Andrea.
    Makeda verdrehte die Augen. »Dreimal dürft ihr raten.«
    Maravan stand auf und schaute sich die etwas ramponierte Seite an. Andrea strich sie mit beiden Händen flach, Makeda machte die Lampe über

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