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Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Titel: Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mukherjee Siddhartha
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normale Exemplare des Retinoblastomgens besitzen, das er Rb nannte. Damit ein sporadisches Retinoblastom entstehe, postulierte Knudson, müssten infolge einer Mutation in beiden Exemplaren beide Rb -Gene inaktiviert sein. Das Erkrankungsalter beim sporadischen Retinoblastom sei deshalb höher, weil zuvor unabhängig voneinander zwei Mutationen in ein und derselben Zelle stattgefunden haben müssten.
    Kinder mit der erblichen Form von Retinoblastom hingegen würden bereits mit einem fehlerhaften Exemplar von Rb geboren, so dass nur noch eine einzige weitere genetische Mutation erforderlich sei, damit die Zelle die Veränderung erkenne und sich zu teilen beginne. Diese Kinder besäßen also eine Prädisposition für Netzhauttumoren, und bei ihnen entwickelten sie sich schneller: Sie würden zu den »Hochgeschwindigkeitstumoren«, die Knudson aus seinen statistischen Tabellen abgeleitet hatte. Seine Hypothese, das Knudson’sche Zwei-Treffer-Modell, geht davon aus, dass bei manchen krebsverursachenden Genen zwei Mutationen erforderlich sind, um eine pathologische Zellteilung und folglich Krebs auszulösen.
    Das Zwei-Treffer-Modell 6 war eine überzeugende Erklärung für das Erbmuster bei Retinoblastom, auf den ersten Blick aber schien sie dem ursprünglichen molekularen Verständnis von Krebs zu widersprechen. Vom Src -Gen, erinnern wir uns, ist nur ein einziges aktiviertes Exemplar erforderlich, um eine unkontrollierte Zellteilung in Gang zu setzen. Von Knudsons Gen braucht es zwei. Warum reichte bei Src eine einzige Mutation, während bei Rb zwei nötig waren?
    Die Antwort gibt die jeweilige Funktion der Gene. Src aktiviert eine Funktion während des Zellteilungsprozesses. Das mutierte Src erzeugt, wie Ray Erikson und Hidesaburo Hanafusa erkannt hatten, ein zelluläres Protein, das sich nicht mehr ausschalten kann – eine unersättliche, hyperaktive Kinase im Dauerbetrieb, die eine andauernde Zellteilung verursacht. Knudsons Gen Rb übt die entgegengesetzte Funktion aus: Es unterdrückt die Zellwucherung, und erst die Inaktivierung dieses Gens (infolge zweier Mutationen) löst die extreme Zellteilung aus. Rb ist also ein Tumorsuppressorgen – das funktionale Gegenstück von Src – beziehungsweise ein »Antionkogen«, wie Knudson es nannte.
    »Zwei Kategorien von Genen 7 entscheiden offenbar über die Entstehung der Tumoren bei Kindern«, schrieb er. »Die eine, die Kategorie der Onkogene, wirkt in Form von abnormer oder erhöhter Aktivität … Die andere, die Kategorie der Antionkogene [der Tumorsuppressorgene], ist bei der Tumorentstehung rezessiv; Krebs entsteht, wenn beide normalen Exemplare durch Mutation verändert oder ausgemerzt wurden. Einige Personen tragen eine solche Mutation in der Keimbahn und sind in hohem Maß tumoranfällig, weil nur ein entsprechendes somatisches Ereignis erforderlich ist. Manche Kinder tragen zwar keine solche Mutation in der Keimbahn, können den Tumor aber infolge zweier somatischer Ereignisse entwickeln.«
    Es war eine überaus scharfsinnige Hypothese, die bemerkenswerterweise allein aus statistischen Überlegungen hervorgegangen war. Knudson kannte die molekulare Identität seiner angenommenen Antionkogene nicht. Nie hatte er eine Krebszelle betrachtet, um diese Gene zu »sehen«, und nie ein biologisches Experiment durchgeführt, um Rb genau zu bestimmen. Wie Mendel kannte Knudson seine Gene nur im statistischen Sinn. Er hatte sie abgeleitet, wie er es formulierte, »wie man den Wind aus den Bewegungen der Bäume ableiten kann«.
    Ende der siebziger Jahre konnten Varmus, Bishop und Knudson das Zusammenwirken von Onkogenen und Antionkogenen zu einem Gesamtbild fügen, um die zentrale molekulare Abweichung der Krebszelle zu beschreiben. Krebsgene, postulierte Knudson, treten in zwei Erscheinungsformen auf. »Positive« Gene, wie Src , sind aktivierte Mutanten normaler Zellgene. In normalen Zellen beschleunigen sie die Zellteilung, allerdings nur, wenn die Zelle ein entsprechendes Wachstumssignal empfängt. In der mutierten Form werden die gleichen Gene zu ständiger Hyperaktivität angetrieben, was zu unkontrollierter Zellteilung führt. Ein aktiviertes Protoonkogen ist, um Bishops Analogie zu gebrauchen, wie »ein verklemmtes Gaspedal« im Auto. Es lässt die Zelle den Weg unaufhörlicher Teilung entlangschlittern: Unfähig, die Mitose zu stoppen, teilt und vermehrt sie sich gnadenlos.
    »Negative« Gene, wie Rb , unterdrücken die Zellteilung. In normalen Zellen sind diese

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