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Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Titel: Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mukherjee Siddhartha
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Sinnzusammenhang.
    Rowley hatte krebsverursachende Gene sichtbar gemacht, indem sie die physische Struktur der Chromosomen in den Krebszellen studierte. Knudson konzentrierte sich mönchisch auf die Funktion eines Gens. Gene sind Erbeinheiten; sie geben Eigenschaften – Merkmale – von einer Generation an die nächste weiter. Wenn Gene Krebs verursachen, so Knudsons Überlegung, konnte er vielleicht ein Muster in der Vererbung von Krebs erkennen, ähnlich wie Mendel auf die Idee der Erbeinheit gekommen war, indem er die Vererbung von Blütenfarben und Wuchshöhe bei Erbsen studierte.
    1969 wechselte Knudson 4 ans MD Anderson Cancer Center in Texas, wo Freireich ein blühendes Klinikzentrum für krebskranke Kinder aufgebaut hatte. Knudson brauchte einen »Modell«-Krebs, eine erbliche Malignität, an deren Erbmuster sich ablesen ließ, wie krebsverursachende Gene agieren. Die naheliegende Wahl war das Retinoblastom, die eigenartige, seltene Variante eines Karzinoms im Auge mit ihrer auffälligen Tendenz zur familiären Häufung über Generationen hinweg, die de Gouveia in Brasilien beschrieben hatte.
    Das Retinoblastom ist eine besonders tragische Form von Krebs, nicht nur weil sie Kinder befällt, sondern weil sie das exemplarische Organ der Kindheit befällt: Der Tumor wächst im Auge. Manchmal wird die Erkrankung diagnostiziert, wenn das Kind beschreibt, wie die Welt zu verblassen und zu verschwimmen beginnt. Aber gelegentlich wird der Netzhauttumor auch zufällig auf einem Foto des Kindes entdeckt, wenn das Auge im Blitzlicht unheimlich glüht wie ein Katzenauge und den Tumor hinter der Linse offenbart. Unbehandelt, breitet sich der Tumor nach hinten durch die Augenhöhle aus und steigt über den Sehnerv ins Gehirn. Die primäre Therapie besteht darin, den Tumor entweder mit hochdosierter Gammastrahlung zu behandeln oder das Auge chirurgisch zu entfernen, so dass eine leere Augenhöhle zurückbleibt.
    Das Retinoblastom tritt in zwei Varianten auf, einer erblichen, »familiären« Form und einer sporadischen Form. De Gouveia hatte die erbliche Form identifiziert. Bei Kindern, die unter dieser erblichen Form leiden, lässt sich häufig eine ausgeprägte Familiengeschichte nachweisen – Väter, Mütter, Cousins, Geschwister, andere Blutsverwandte sind betroffen –, und bei ihnen entstehen typischerweise, wie in de Gouveias Fall in Rio, Tumoren an beiden Augen. Aber auch Kinder ohne familiäre Vorbelastung können am Retinoblastom erkranken: Bei dieser sporadischen Form ist keinerlei Familiengeschichte nachzuweisen, und der Tumor entsteht nur in einem Auge.
    Dieses Erbmuster weckte Knudsons Neugier. Er fragte sich, ob sich mithilfe mathematischer Analysen ein subtiler Unterschied zwischen der sporadischen und der erblichen Form erkennen ließe, und führte das einfachste Experiment durch, das sich denken lässt: Anhand alter Krankenhausunterlagen bildete er zwei Gruppen, die eine aus Kindern mit der sporadischen Form von Retinoblastom, die andere mit Kindern, die unter der erblichen Form litten, vermerkte für beide Gruppen das jeweilige Alter der Erkrankung und zeichnete schließlich zwei Kurven. Und stellte fest, dass die Tumoren beider Gruppen interessanterweise mit unterschiedlichen »Geschwindigkeiten« wuchsen: Beim erblichen Retinoblastom brach die Erkrankung früh aus, bereits zwei bis sechs Monate nach der Geburt. Das sporadische Retinoblastom hingegen entstand typischerweise im Alter zwischen zwei und vier Jahren.
    Aber warum entwickelte sich die gleiche Krankheit bei verschiedenen Kindern mit unterschiedlichem Tempo? Anhand seines Zahlenmaterials sowie einfacher Gleichungen aus der Physik und der Wahrscheinlichkeitsrechnung modellierte Knudson die Tumorentwicklung in beiden Gruppen, und es zeigte sich, dass die Daten zu einem simplen Modell passten: Bei Kindern mit der ererbten Form von Retinoblastom genügte eine einzige genetische Veränderung, um den Tumor wachsen zu lassen; bei Kindern mit der sporadischen Form waren zwei genetische Veränderungen nötig.
    Das warf eine weitere Frage auf: Warum war bei der erblichen Tumorform nur eine einzige genetische Veränderung erforderlich, während es bei der sporadischen Form zwei waren? Knudson lieferte eine einfache, elegante Erklärung. »Die Zwei«, sagte er später dazu, 5 »ist die Lieblingszahl der Genetiker.« Jede normale Zelle enthält von jedem Chromosom zwei Exemplare und folglich auch zwei Exemplare jedes Gens. Jede normale Zelle muss zwei

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