Der König auf Camelot
Dann blickte er verlegen drein,
nahm seine Kappe ab – drei Mäuse fielen heraus – und kratzte sich den kahlen
Kopf.
»Hast du schon
versucht, in einem Spiegel zu zeichnen?« fragte er.
»Ich glaub’
nicht.«
»Spiegel«, sagte
Merlin und streckte seine Hand aus. Sogleich hatte er ein winziges
Damenspiegelchen in der Hand.
»Doch nicht so einen, du Narr«, sagte er zornig.
»Ich brauche einen, der groß genug ist, daß man sich drin rasieren kann.«
Das Spiegelchen verschwand, und an seiner Stelle erschien
ein Rasierspiegel, etwa ein Fuß im Quadrat. Dann verlangte er Bleistift und
Papier in schneller Folge; bekam einen ungespitzten Bleistift und die Morning
Post ; schickte sie zurück, geriet in Wut, wobei er reichlich oft
Heilige-Jungfrau sagte, und erhielt schließlich einen Holzkohlestift und einige
Blatt Zigarettenpapier, womit er’s bewenden ließ.
Er legte ein Blättchen vor den Spiegel und malte
fünf Punkte.
»So«, sagte er, »und jetzt wirst du diese fünf
Punkte miteinander verbinden, so daß ein W entsteht. Du darfst dabei aber nur
in den Spiegel schauen.«
Wart nahm den Bleistift und tat, wie ihm geheißen.
»Nun ja, gar nicht so übel«, sagte der Zauberer
ohne Überzeugung, »irgendwie sieht’s aber doch ein bißchen wie ein M aus.«
Dann fiel er in Träumerei, strich sich den Bart,
spie Feuer und Rauch und betrachtete unverwandt das Blättchen Papier.
»Wegen des Frühstücks…«
»Ach so, ja. Woher ich wußte, daß es ein Frühstück
für zwei würde? Deshalb habe ich dir den Spiegel gezeigt. Also: gewöhnliche
Menschen werden vorwärts in die Zeit geboren, wenn du verstehst, was ich meine,
und fast alles auf der Welt läuft ebenfalls vorwärts. Das macht den
gewöhnlichen Menschen das Leben ziemlich leicht, genauso, wie es leicht wäre,
diese fünf Punkte zu einem W zu verbinden, wenn du sie vorwärts ansehen
dürftest, statt rückwärts und seitenverkehrt. Ich aber wurde unglücklicherweise
am falschen Ende der Zeit geboren, und ich muß von vorn nach hinten leben, umgeben
von ungeheuer vielen Menschen, die von hinten nach vorne leben. Manche
nennen’s: das Zweite Gesicht haben.«
Er unterbrach seine Erklärung und sah Wart
ängstlich an.
»Habe ich dir das schon einmal erzählt?«
»Nein, wir sind uns ja erst vor etwa einer halben
Stunde begegnet.«
»So wenig Zeit verstrichen?« sagte Merlin, und eine
große Träne rann ihm zur Nasenspitze. Er wischte sie mit seinem Pyjama ab und
fügte eifrig hinzu: »Soll ich’s dir noch mal erzählen?«
»Ich weiß nicht«, sagte Wart. »Vielleicht wart Ihr
noch nicht fertig?«
»Siehst du, man gerät mit der Zeit durcheinander,
wenn es so ist. Zum Beispiel verwirren sich die Zeitformen. Wenn du weißt, was
mit den Menschen geschehen wird , und nicht, was mit ihnen geschehen ist ,
dann wird’s schwierig, das Geschehen zu verhindern, wenn man nicht will, daß es
geschehen ist, wenn du verstehst, was ich meine? Wie das Zeichnen im Spiegel.«
Wart verstand zwar durchaus nicht, wollte aber
gerade sagen, daß es ihm für Merlin leid täte, wenn solche Dinge ihn
unglücklich machten – da spürte er etwas Merkwürdiges an seinem Ohr. »Nicht
aufspringen«, sagte der alte Mann, als er genau das eben tun wollte, und Wart
blieb still sitzen. Archimedes, der die ganze Zeit, ohne daß Wart daran dachte,
auf seiner Schulter gestanden hatte, rieb sich sanft an ihm. Sein Schnabel lag
an Warts Ohrläppchen, das von den Borsten gekitzelt wurde, und plötzlich
flüsterte eine leise, rauhe Stimme: »Guten Tag«, so daß es wie in seinem Kopf
gesprochen klang.
»Oh, Eule!« rief Wart und vergaß augenblicklich Merlins
Kummer. »Seht Ihr, sie hat mit mir gesprochen!«
Behutsam legte Wart seinen Kopf an die glatten
Federn, und die Eule nahm den Rand seines Ohrs in den Schnabel und knabberte
mit winzig kleinen Kaubewegungen ringsherum.
»Ich werd’ sie Archie nennen.«
»Du wirst nichts dergleichen tun!« entgegnete
Merlin mit strenger und ärgerlicher Stimme, und die Eule zog sich ans äußerste
Ende von Warts Schulter zurück.
»Ist das falsch?«
»Da kannst du mich gleich Wolly nennen, oder Olly«,
sagte die Eule mürrisch und beleidigt. »Oder Täubchen.«
Merlin nahm Warts Hand und sagte freundlich: »Du
bist jung, du verstehst diese Dinge nicht. Aber du wirst lernen, daß Eulen die
höflichsten, aufrichtigsten und treuesten Geschöpfe sind. Ihnen darfst du
niemals plumpvertraulich oder grob oder ordinär kommen oder sie
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