Der König auf Camelot
Zelt der Königin hinüber, wo sie im Gewahrsam des Konnetabels saß.
Wegen des großen Helms konnte niemand den fragenden Blick sehen.
Ginevra
jedoch sah ihn; zumindest spürte sie ihn im Herzen. Über das Geländer hinweg
zeigte sie mit dem Daumen nach unten und stieß ihn insgeheim noch mehrmals
abwärts. Ihrer Meinung nach war Meliagrance zu gefährlich, um geschont zu
werden.
In
der Arena entstand Schweigen, während jedermann atemlos wartete und sich
vorbeugte und auf die Kombattanten starrte – einem Kreis von Geiern gleich,
deren Beute noch nicht ganz tot ist. Jedermann wartete auf den coup de grâce – wie das Volk in einem römischen Amphitheater oder bei einem spanischen
Stierkampf – , und jedermann war überzeugt, daß Lanzelot ihm den Todesstoß
versetzen werde. Ihrer Ansicht nach war die Anschuldigung, die Meliagrance
gewagt hatte, sehr viel schlimmer als die von Mador, und gleich Ginevra meinten
sie, daß er den Tod verdiene. Denn in jenen Tagen galten andere Konventionen
für die Liebe als in unsern. In jenen Tagen war sie ritterlich, erwachsen,
ausdauernd, religiös, fast platonisch. Da durfte man keine leichtfertigen
Anschuldigungen machen. Sie war nichts, was, wie heutzutage, an einem
verlängerten Wochenende anfängt und aufhört.
Die
Zuschauer sahen, wie Lanzelot über dem Manne zögerte. Sie hörten seine Stimme
gedämpft durch den Helm dringen. Er machte Angebote.
»Ich
geb’ Euch Vorteil«, sagte er, »wenn Ihr aufsteht und richtig mit mir kämpft,
auf Leben und Tod. Ich werde meinen Helm abnehmen und die ganze Rüstung an
meiner linken Körperseite, und ich werde ohne Schild kämpfen, dazu die linke
Hand auf dem Rücken festgebunden. Das dürfte doch wohl fair sein, wie? Steht
Ihr auf und kämpft unter dieser Bedingung?«
Sir
Meliagrance stieß ein schrilles, hysterisches Kreischen aus, während er zur
Richterloge kroch und dabei heftige Gesten machte.
»Vergeßt
nich’, was er gesagt hat«, schrie er. »Alle ha’m ihn gehört. Ich nehm’ seine
Bedingungen an. Sorgt, daß er sie nich’ rückgängig macht. Keine Rüstung für die
linke Seite, kein Schild un’ Helm, un’ die linke Hand im Rücken festgebunden.
Alle ham’s gehört! Alle ham’s gehört!«
Der
Kampfrichter rief: »Es bleibt dabei!«
Die
Herolde und Ordnungshüter kamen herbei, und Meliagrance wurde zum Schweigen
gebracht. Jedermann schämte sich für ihn. In der schrecklichen Stille, während
der er murmelnd darauf bestand, daß die Bedingungen eingehalten würden, gingen
zögernde Hände daran, Sir Lanzelot die Wehr abzunehmen und ihn zu binden. Ihnen
war, als assistierten sie bei der Exekution eines Menschen, den sie über alles
liebten, denn die Vorgabe war allzu groß. Als sie ihn gebunden und ihm sein
Schwert gegeben hatten, klopften sie ihm auf die Schulter, schoben ihn mit
diesen groben Schlägen zu Meliagrance hin und wandten ihre Gesichter ab.
Es
gab ein Blitzen auf dem sandigen Boden, als springe ein Lachs übers Wehr.
Lanzelot war’s, der seine entblößte Seite zeigte, um den Hieb anzulocken. Und
als der Hieb kam, wechselte das Bild, so rasch, wie in einem Kaleidoskop die
Formen sich verändern. Der Hieb, den Meliagrance austeilte, hatte sich in den
Hieb verwandelt, den Lanzelot führte.
Sir
Meliagrance wurde mit Pferden vom Felde geschleift. Sein Helm und Haupt waren
in zwei Teile gespalten.
KAPITEL 45
Dies also ist die
lange Geschichte, wie der Fremdling aus Benwick Königin Ginevras Liebe stahl,
wie er sie seinem Gott zuliebe verließ und wie er schließlich zu ihr
zurückkehrte, trotz dem Tabu. Es ist eine Liebesgeschichte aus alten Tagen, wo
Erwachsene treu und hingegeben liebten – keine Geschichte aus der Gegenwart, wo
Jugendliche sich die billige Hektik des Kinematographen zum Vorbild nehmen.
Jene Menschen hatten ein Vierteljahrhundert darum gekämpft, sich zu
verständigen, sich selbst zu verstehen, und nun lag der Spätsommer vor ihnen.
Lanzelot hatte Ginevra seinen Gott gegeben, und sie hatte ihm dafür seine
Freiheit gegeben. Elaine, die in diesem Wirrwarr immer nur eine Zufallsrolle
spielte – sie hatte ihren eigenen Frieden gefunden. Arthur, dessen Stellung in
diesem Dreieck am unglücklichsten erscheint, war nicht ganz und gar
unglücklich. Merlin hatte ihn nicht für privates Glück bestimmt. Er war für
königliche Freuden gemacht, für das Wohlergehen einer Nation. Dieses war durch
die beiden sensationellen Siege Lanzelots wiederhergestellt.
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