Der König auf Camelot
(irgendwo auf dem schottischen Hochland) und auf dem Hügel von Agned.
Ein so weite Feldzüge unternehmender, entschlossener und erfolgreicher Heerführer
muß nach den vorangegangenen Zeiten der Zwietracht im Lager der Briten große
Hoffnungen erweckt haben. Indem man sich rühmen konnte, an seinem Geburts- oder Sterbeort
ansässig zu sein, übertrug sich auf die Nachkommen ein Teil seiner magischen
Macht. So ist es kein Wunder, daß sowohl Cornwall wie auch Schottland für sich
in Anspruch nehmen, Artur hervorgebracht zu haben, und daß es in Wales,
Ceshire, West-Cumbria und Northumberland Höhlen gibt, in denen er mit seinen
Reitern bis zum Tag seiner Wiederkehr schlafen soll.
Eine historische Gestalt wie er forderte
geradezu dazu heraus, verklärt und überhöht zu werden. Sie war wie geschaffen
dazu, als Kristallisationskern für eine Mythe zu dienen, die sich um einen
guten irdischen König rankte. Und gewiß konnte es einem solchen König oder
Kaiser nicht ohne Zauber oder Bindung an das Heilige gelingen, langwährenden
Frieden in einem Reich herzustellen, das zu seinen Lebenzeiten sogar weiter
reichte als die britische Insel.
Nennius ist die früheste Quelle, in der
erwähnt wird, daß ein Kind Vortigern beim Bau seines immer wieder einstürzenden
Schloßes berät. Bei Nennius heißt dieser Junge Emrys und er erklärt, sein Vater
sei ein römischer Konsul gewesen.
In der nächsten, uns überlieferten Fassung
dieser Episode, sie stammt von Geoffrey von Monmouth, heißt der Junge Myrddyn
und wird in Caerfryddin aufgespürt. Dieser Ort (heute Carmarthen) war in der
Zeit vor der Herrschaft Vortigerns das römische Maridunum. Es gibt jedoch einen
Myrddin Wyllt, einen nordischen Barden, der zur Zeit von Rhydderch Hael, dem
König der nördlichen Briten im 6. Jahrhundert, gelebt hat. Im Lateinischen
heißt er Merlinus Silvestris, während der Emrys aus dem Manuskript des Nennius
Merlinus Ambrosius genannt wird. Dieser Name könnte aus einer Verschiffung von
Myrddin und Emrys entstanden sein.
T. Gwynn Jones, Welsh Folklore
and Folk-Custom
KAPITEL 5
Wenn Artur das mythische Bild des idealen
Herrschers darstellt, der in eine heillose Welt kommt, so ist Merlin jene
mythische Figur, die dank ihres Geheimwissens und ihrer tieferen Einsicht in
die kosmologische Situation es einzurichten weiß, daß ein solcher König geboren
wird. Mit Merlin gerät die keltische Unterströmung, gerät heidnischer Zauber,
aber auch abgesunken-verdrängtes magisches Wissen unter die Mythe vom
weltlichen Friedensfürsten.
Sollte es einen realen, historischen
Merlin, einen Adligen unehelicher Geburt, tatsächlich gegeben haben, so kann es
das Kind und der Junge nicht leicht gehabt haben. Vielleicht aber hat er gerade
durch seine schwierigen Lebensumstände, durch den Druck, der auf ihm lastete,
eine besondere Sensibilität für psychische Zusammenhänge entwickelt. Dies, und
das Geheimnis seiner Geburt, mag ihn zu Taten befähigt haben, die
übernatürlich, magisch, zauberhaft erschienen.
Wenn er, ohne Geburtsrecht, standesgemäß
leben wollte, wird er es nötig gehabt haben, seine Sensibilität dazu zu
gebrauchen, Voraussagen über den Lauf der politischen Ereignisse und über das
Schicksal mächtiger Personen in seiner Umgebung zu machen.
Wenn ihn seine intellektuellen Fähigkeiten
außerdem noch befähigten, technologische Probleme zu lösen, angesichts derer
die Experten des Establishment versagten, so dürfte das weiter zu seiner Aura
als Zauberer beigetragen haben.
Zumindest zweimal wird in den sogenannten
»Arthurian Chronicles« (ein Sammelausdruck für den »Roman de Brut« von Wace und
den »Brut« des englischen Landpfarrers Layamon aus dem Jahre 1204) Merlin mit
einer Bautätigkeit in Verbindung gebracht. Das erste Mal beim Bau des Königs
Vortigern, der immer wieder bei Nacht einstürzt, das zweite Mal im Zusammenhang
mit der Aufrichtung der gewaltigen Felsen des Steinkreises von Stonehenge. Wace
schildert diese Episode so:
Von dort aus ritt der König nach
Ambresbury, um am Grab jener zu beten, die von Hengist auf so gemeine Weise
nahe der Abtei erschlagen worden waren. Er rief zusammen eine große Zahl von
Steinmetzen, Zimmerleuten und erfahrenen Handwerkern, denn er hatte sich
vorgenommen, den Toten ein Denkmal aus Stein errichten zu lassen, das dauern
würde bis ans Weltende. Darüber sprach der König mit einem gewissen klugen
Mann, Tremonius, Erzbischof von Caerleon, den bat er nach Merlin zu
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