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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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anderen Ende der Stadt war Macrae spätabends in seinem Büro noch dabei, die Akte John Bircher durchzugehen. Nach wenigen Minuten legte er den Polizeibericht, das ärztliche Gutachten und drei Fotos von Birchers zerschmetterter Leiche auf dem Asphalt vor dem Parkhaus aufeinander, heftete sie mit einer Büroklammer zusammen und steckte sie wieder in den Pappordner. Dann nahm er einen roten Stift, schrieb in dicken Großbuchstaben ›Selbstmord‹ auf den Aktendeckel, fügte seine Initialen an und schob die Akte auf die andere Seite des Schreibtisches. Die Tür ging auf und Detective Constable Wale kam herein.
    »Was gibt’s?«, fragte Macrae aufblickend.
    »Clayton war schon wieder bei Trave. Ich bin ihm am Abend gefolgt. Er war länger als eine Stunde im Haus. Möchten Sie, dass ich mit ihm rede?«
    Macrae musterte über den Schreibtisch hinweg die kräftigen, viel zu großen Hände seines Assistenten. Er zögerte einen Moment und strich sich übers Kinn. Ihm gefiel der Gedanke, Jonah würde an diesem eingebildeten Fatzke ein paar neue Techniken ausprobieren, doch gleichzeitig war ihm klar, dass das Risiko viel zu groß war. Was, wenn der kleine Clayton zu Papa Creswell lief und sich dort ausheulte?
    »Nein, Jonah. Eine gute Idee, keine Frage, aber ich denke, es ist besser, wir lassen Constable Clayton erstmal in Ruhe. Aber beobachten Sie ihn ruhig weiter. Wenn wir ihm zuviel Leine geben, schnürt er sich vielleicht noch selbst die Luft ab – davor bewahren Sie uns bitte.«
    Macrae wusste, dass Creswell bald in den Ruhestand gehen würde. Und wer wäre dann für den Posten des Superintendentbesser geeignet als der aufstrebende, vielversprechende Inspector Macrae? Sobald er das Sagen hätte, würde er keine Zeit verlieren: Er würde in diesem verschlafenen Polizeirevier gründlich aufräumen und Leuten wie Clayton eine Lektion erteilen, die sie ihr Leben lang nicht vergessen würden.

Kapitel Sechzehn
    Trave nahm frühmorgens die Fähre über den Ärmelkanal und fuhr dann von Calais aus mit dem Zug nach Antwerpen. Er war zum ersten Mal in dieser Stadt, und angesichts der Schönheit des Hauptbahnhofs verschlug es ihm fast den Atem: Alles voller Marmor und Goldverzierungen, darüber eine gewaltige, mit Glas durchzogene Eisenkonstruktion, die das Dach bildete. Er fühlte sich wie in einer Kathedrale – sogar eine Rosette gab es über dem Haupteingang, die allerdings nicht den Weltenretter umschloss, sondern eine goldene Uhr. In Antwerpen fuhren die Züge pünktlich.
    Von der Anwaltskanzlei, die zwei Jahre zuvor David Swain bei seiner ersten Anklage vertreten hatte, hatte Trave zwar nicht die Telefonnummer von Jacob Mendel erhalten, aber immerhin seine Adresse. Das Haus lag im jüdischen Viertel, das aus einem Wirrwarr aus Gässchen südlich des Hauptbahnhofs bestand. Auf dem mitgebrachten Stadtplan sah es nicht weit aus, deshalb beschloss er, zu Fuß zu gehen. Schlagartig befand er sich in einer seltsamen, fremdartigen Welt. Es war Mittagszeit, und chassidische Juden in schwarzen Anzügen und weißen Hemden zogen scharenweise durch die Straßen. Schläfenlocken quollen unter ihren schwarzen Filzhüten hervor. Alles war voll quirliger Aktivität: Es gab Cafés, Synagogen und koschere Delikatessenläden, und auf der Pelikaanstraat ging Trave an zahllosen Diamantengeschäften vorüber, in deren schmalen Schaufenstern hinter Panzerglas funkelnde Waren ausgelegt waren, bewacht von mürrisch dreinblickenden Händlern auf niedrigen Schemeln.
    Ein wildes Durcheinander von Trambahnen und Fahrrädern sorgte dafür, dass Trave rasch die Orientierung verlor. Die gebogen Straßen mit ihren langen, flämischen Namen gingen ineinander über. Gerade wollte er anhalten und nach dem Weg fragen,da bemerkte er beim Aufblicken, dass von der gegenüberliegenden Straßenseite das Gässchen abging, nach dem er suchte. Das Haus, in dem Jacob wohnte, stand auf halber Höhe. Es war ein Wohnhaus aus dem 19. Jahrhundert mit einem kleinen, gepflasterten Innenhof. Auf den Briefkästen standen Namen, doch Mendel war nicht darunter. Trave wollte schon anfangen, an einer Tür nach der anderen zu klopfen, als ihm von hinten jemand etwas in einer fremden Sprache zurief.
    Er drehte sich um und erblickte eine kleine, alte Frau mit krummem Rücken und einem schwarzen Kopftuch. Sie stand ein paar Meter entfernt in einer niedrigen Türe, die Trave im Gewölbe des Eingangs gar nicht bemerkt hatte. Sie hatte einen Krückstock in der Hand.
    »Ich bin aus

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