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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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England«, sagte er hoffnungsvoll. »Ich suche Jacob Mendel.«
    Überraschenderweise schien die Frau ihn zu verstehen.
    »Hier nicht Mendel. Was du wollen?«, fragte sie argwöhnisch.
    »Mit ihm über seinen Bruder reden. Ich bin ein Freund.«
    »Freund! Das alle sagen«, erwiderte sie höhnisch.
    »Aber ich bin wirklich einer«, sagte Trave. »Jacob will herausfinden, wer seinen Bruder umgebracht hat, genau wie ich. Ich möchte ihm helfen.«
    Die alte Frau sah ihn ausdruckslos an, und Trave merkte, dass sie kein Wort verstanden hatte. Ihr Englisch war offenbar nicht sehr gut, und er konnte kein Wort Niederländisch.
    »Parlez-vous français?«, probierte er es, doch die Alte ignorierte ihn. Stattdessen musterte sie ihn intensiv von oben bis unten und fuchtelte dann mit ihrem Stock vor seinen Füßen herum. Für einen Moment dachte er, sie würde auf ihn losgehen, doch dann verstand er, dass sie ihm etwas zu verstehen geben wollte. »Du warten«, sagte sie, drehte sich um und verschwand.
    Eine Minute später tauchte sie mit einem dicken Buch, einem Blatt Papier und einem Stift in der Hand wieder auf. Trave öffnetedas Buch und sah nichts als unverständliche Zeichen – das war wohl Hebräisch.
    »Ich kann das nicht lesen«, sagte er, indem er auf eine Seite deutete und sich dann an den Kopf tippte, um ihr klarzumachen, dass er nichts verstand.
    Ungeduldig nahm sie ihm das Buch weg und klappte es zu, legte dann das leere Blatt darauf und tat, als ob sie schrieb.
    »Du schreiben«, sagte sie. »Dann komm zurück.«
    »Wann?«
    »Vier«, sagte sie und hielt vier Finger in die Höhe. »Oder so.«
    Trave nickte und schrieb:
     
    Jacob – ich bin der Inspector, der für den Fall David Swain zuständig war. Genau wie Sie glaube ich nicht, dass Swain Ihren Bruder getötet hat. Vielleicht können wir gemeinsam herausfinden, wer es war.
    William Trave
     
    Als er fertig war, reichte er der alten Frau die Nachricht und sah ihr dabei in die Augen.
    »Bitte«, sagte er und zeigte auf sich selbst. »Ich meine es gut.«
    »Ja, ja. Freund«, erwiderte sie, und Trave stellte mit Genugtuung fest, dass sie das Wort jetzt nicht mehr so verächtlich aussprach wie noch kurz zuvor. »Du jetzt gehen«, befahl sie ihm. Und Trave ging.
    Er hatte über zwei Stunden Zeit und schlenderte nachdenklich durch die Straßen. In der Altstadt mit ihren hohen, mittelalterlichen Zunfthäusern voller bleiverglaster Fenster wurde es ihm zu eng, deshalb wandte er sich nach Westen Richtung Fluss. Auf die Uferbrüstung gelehnt ließ er seinen Blick über die ausgedehnte Schelde-Mündung schweifen. Von der Nordsee kamen tiefhängende Wolken herein, und fast von einer Minute auf die andere wechselte die Farbe des Nachmittags von Blau nach Grau. Trave spürte die Kälte des Januars jetzt bis in die Knochen und machte sich fröstelnd auf den Rückweg.
    Die alte Frau erwartete ihn bereits im gewölbten Eingang. »Marke«, sagte sie. »Zeigen Marke.«
    Trave reichte sie ihr, woraufhin sie ihm Zeichen gab, voranzugehen. Trave nahm den Hut ab und betrat einen überraschend großzügigen Raum, der zwei Fenster zur Straße hin hatte. Von draußen fiel das letzte Licht der Wintersonne herein und zeichnete einen goldenen Streifen auf den blankgescheuerten Holzboden. Von Jacob Mendel war nichts zu sehen, doch am anderen Ende des Zimmers brannte ein Feuer im Kamin, und daneben saß in einem Schaukelstuhl eine ältere Dame mit strahlend blauen Augen. Früher musste sie einmal sehr schön gewesen sein, auch wenn ihre Haut jetzt runzlig und über das Gesicht gespannt war und es den Anschein hatte, als sei sie aus demselben alten Porzellan wie die Teetasse in ihrer Hand. Sie war komplett schwarz gekleidet und trug ihr silbergraues Haar in einem Dutt. Auf ihrem Schoß lag eine große weiße Katze, die offensichtlich schlief.
    »Verzeihen Sie, dass ich nicht aufstehe, Mr. Trave«, sagte sie in leicht akzentgefärbtem, ansonsten aber tadellosem Englisch und deutete auf den Lehnsessel vor sich am Feuer. »Mrs. Morgensteins Katze mag es nicht, wenn sie gestört wird. Möchten Sie einen Tee?«
    Trave schüttelte den Kopf, während er sich setzte, doch ohne darauf Rücksicht zu nehmen, drückte ihm die alte Frau eine Tasse in die Hand, bevor sie hinter einem Vorhang verschwand, der das Zimmer vom Rest der Wohnung abtrennte.
    »Sieht so aus, als hätte ich nicht viel zu sagen«, sagte er trocken. »Vorhin war Mrs. Morgenstein noch ein ganzes Stück strenger.«
    »Ja, sie kann einem

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