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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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Haus ums Leben kam. Und weil er sofort wieder dorthin reiste, nachdem er Jacob den Brief geschickt hatte. Im Grunde wird es aber wohl daran liegen, dass Titus die Flucht von Jacobs Eltern arrangiert hat und diese dann abgefangen wurden. Das ist es nämlich: Jacob gibt Titus die Schuld am Tod seiner Eltern, deshalb gibt er ihm auch die Schuld an allem anderen. Bei Ethans Begräbnis kam Titus, um sein Beileid auszusprechen, so wie es sich gehört, und Jacob bezichtigte ihn vor allen Leuten praktisch des Mordes. Titus konnte ganz gut damit umgehen, er war freundlich und verständnisvoll, aber Jacob hatte nun mal gesagt, was er gesagt hatte. Ich habe mich für ihn geschämt. Er hat der ganzen Familie Schande zugefügt, und zwischen ihm und mir war es seither nicht mehr wie früher. Jetzt aber – jetzt wünsche ich mir so sehr, dass er wieder heimkommt.«
    Die alte Dame musste abbrechen. Sie zog ein weißes Taschentuch aus dem Ärmel ihrer Strickjacke, mit dem sie sich die Augen abtupfte.
    »Wieso sind Sie so sicher, dass Jacob unrecht hat bezüglich Titus?«, fragte Trave. Es war ihm ein wenig unangenehm, an dieser Stelle nachzuhaken, obwohl die Angelegenheit die Dame sichtlich mitnahm, aber er war schlicht und einfach nicht in der Lage, das Gespräch zu beenden – dafür interessierte es ihn jetzt viel zu sehr.
    »Weil ich ohne Titus gar nicht hier sitzen und mit Ihnen reden würde«, sagte Aliza ruhig, nachdem sie sich wieder gefasst hatte. »Er hat mir und meinen Enkeln das Leben gerettet, und dafür verdient er nicht Beleidigungen, sondern unseren Dank. Er hat alles organisiert: die falschen Papiere, mit denen wir nach Frankreichkonnten, und die Führer, die den Stacheldraht zerschnitten und uns durch die Wälder in die Schweiz gebracht haben – frühmorgens, mit Diamanten in den ausgehöhlten Absätzen. Nur wegen der Diamanten konnten wir bleiben. An der Grenze hätten wir keine Chance gehabt – die Schweizer hätten uns ohne mit der Wimper zu zucken den Deutschen übergeben. Aber in Zürich war das anders. Wir bezahlten sie, und sie steckten uns in ein Arbeitslager. Dort hatten wir es nicht leicht, aber wenigstens waren wir sicher. Mein Sohn Avi hätte gemeinsam mit seiner Frau auch bei uns sein können, doch er wollte ja unbedingt in Belgien bleiben. Avi trägt die Schuld an dem, was passiert ist, nicht Titus. Er wartete fast ein Jahr, bis zum Winter 1943. Da war es einfach viel schwerer herauszukommen. In die Schweiz konnte man nicht mehr, deshalb versuchte Titus, ihn durch Vichy-Frankreich und über die Pyrenäen nach Spanien zu schleusen, aber die Grenzen waren dicht, und sie wurden aufgehalten und zurückgeschickt …«
    »Warum hat Ihr Sohn denn gewartet?«, fragte Trave. »Er muss doch gewusst haben, wie gefährlich es hier war.«
    »Er dachte, er sei sicher, weil er und Golda belgische Staatsbürger waren. Als 1942 die Deportationen begannen, hatten die Deutschen strikte Anweisungen, nur Juden aus anderen Ländern aufzugreifen. Das war zunächst einfacher für sie und galt etwa ein Jahr lang. Dadurch, dass man die hiesigen Juden in Ruhe ließ, mussten die Einheimischen keine Schuld auf sich laden. Die Deutschen machten das sehr geschickt. Sie gingen langsam vor, Schritt für Schritt, um uns nicht in Panik zu versetzen. Der Einmarsch war im Mai 40. Erst zwei Jahre später zwangen sie uns, den gelben Stern zu tragen. Das ging durch die Registrierungen. Als wir registriert waren, wussten sie, wo sie uns finden würden. Sie errichteten ein Lager in Mechelen. Wissen Sie, wo das ist?«
    Trave schüttelte den Kopf.
    »Ein nettes kleines Städtchen. Zwanzig Kilometer von hier, Richtung Brüssel. Es gibt eine gute Zugverbindung nach Deutschland,und von dort weiter nach Polen. In Mechelen sollten sich die Juden melden, um in osteuropäische Arbeitslager deportiert zu werden. Nur dass es keine Arbeitslager waren, in die sie dann gebracht wurden. Sie wissen, wohin man sie gebracht hat, nicht wahr, Inspector?«
    »Ja, das weiß ich«, sagte Trave mit gesenktem Kopf.
    »Ich glaube, dass viele Juden der Sache nicht trauten«, sagte Aliza. »Sie versteckten sich. Und als dann nur ein paar Tausend den Anweisungen folgten, fingen die Deutschen an, sie auszuheben, Razzien zu veranstalten – den Leuten die Türen einzuschlagen und sie mitten in der Nacht aus den Betten zu holen.«
    »Und trotzdem blieb Ihr Sohn dort?«
    »Ja, länger als ein Jahr. Er war so dumm zu glauben, er sei in Sicherheit – dabei fand um ihn herum

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