Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
Vom Netzwerk:
Vergangenheit einfach nicht ruhen lassen konnte. »Wieso jetzt auf einmal?«
    »Weil ich dich gesehen habe. Weil du nach Hause gekommen bist …«
    »Und eine Waffe auf Ben gerichtet habe, seinen Wagen geklaut habe, Max erschreckt habe …«
    »Max hat gesagt, ich soll zu dir gehen«, sagte sie. »Er hat mich gebeten, dir auszurichten, dass alles gut wird. Aber was ich dir sagen soll, weiß ich nicht.«
    In ihren Augen standen jetzt Tränen, und David spürte ein Ziehen in seiner Brust. Er hielt sich am Tisch fest und widerstand dem Impuls, aufzustehen, zu seiner Zelle zurückzurennen und seine Mutter sowie den Rest der Familie für immer aus seinem Gedächtnis zu verbannen. Er war nicht in der Lage, sie zu trösten, und er wollte auch nicht über die Zukunft nachdenken – oder vielmehr darüber, dass er gar keine hatte.
    »Max ist ein toller Junge«, sagte er und bemühte sich, gefasst zu klingen. »Der macht dir alle Ehre, Mutter.«
    »Und du nicht?«
    »Du weißt genau, dass ich das nicht tue«, sagte David und senkte den Kopf. »Aber was sie mir in die Schuhe schieben, habe ich trotzdem nicht getan. Ich hab’s dir schon mal gesagt: Den Revolver habe ich nur dabeigehabt, um mich verteidigen zu können. Was mir nichts genutzt hat«, fügte er verbittert an.
    »Das sagt dieser Polizist auch«, sagte sie und nickte. »Er meint, du hättest keinen der beiden Morde begangen.«
    »Welcher Polizist?«
    »Inspector Trave. Du weißt schon, der für deinen Fall zuständig war und dann suspendiert wurde, als er nicht an deine Schuld glauben wollte.«
    »Der mich ans Messer geliefert hat, wolltest du sagen. Wenn ich mich mit ihm nicht getroffen hätte, dann säße ich nicht hier«, sagte David grimmig.
    »Früher oder später hätten sie dich trotzdem gekriegt. Das weißt du. Und der Inspector hatte keine Schuld. Er wusste nicht, dass sie ihm zum St. Luke’s folgten. Das hat er mir gesagt. Wegen dem, was er getan hat, wurde er von dem Fall abgezogen. Wahrscheinlich schmeißen sie ihn sogar ganz raus.«
    »Immerhin wird er nicht sein Leben verlieren«, sagte David aufgebracht und bereute diese Worte sofort, denn er sah, dass seine Mutter bleich wurde und nach der Tischkante griff.
    »Es tut mir leid«, sagte er und streichelte kurz über ihre verkrampfte Hand. »Alles wird gut werden. Denk dran, ich bin unschuldig«, setzte er hinzu und lächelte ihr zuliebe zuversichtlicher, als er im Grunde war. Sie nickte matt und gab sich Mühe, ihre Fassung wiederzuerlangen.
    »Wann hast du mit Trave gesprochen?«, fragte David.
    »Vor ein paar Tagen. Er kam zu uns nach Hause, als Ben bei der Arbeit war. Er sagte, er kann dich nicht besuchen kommen, weil ein Belastungszeuge nicht mit dem Angeklagten reden darf, aber er würde alles tun, was in seiner Macht steht, um dir zu helfen. Er wollte, dass ich dir das sage. Er sagte, dass er an dich glaubt, und hat mich aufgefordert, das Gleiche zu tun.«
    »Ach, deshalb hast du deine Meinung geändert«, sagte David mit einem spöttischen Lächeln.
    »Nicht nur. Es lag auch daran, dass ich dich gesehen habe. Ich habe mich doch schon entschuldigt dafür, dass ich nicht früher gekommen bin.«
    »Ich weiß, ich weiß«, sagte David und hob beschwichtigend die Hand. »Ich bin froh, dass Trave so engagiert ist. Vielleicht findet er ja wirklich noch etwas heraus.«
    Aber daran glaubte David selbst nicht. Morgen würde die Verhandlung beginnen. In zwei Wochen oder sogar früher würde er wissen, womit er rechnen musste, und er glaubte nicht, dass irgendeine Jury ihn angesichts der Beweislage freisprechen würde. Gut möglich, dass er in zwei Monaten schon tot war.
    »Ich habe dir etwas für die Verhandlung mitgebracht – einen Anzug und zwei Hemden«, sagte Davids Mutter. »Man hat mir gesagt, du kriegst sie morgen Früh.«
    »Danke«, sagte David und biss sich auf die Lippe. Ihm fiel ein, wie seine Mutter ihm vor Semesterbeginn im St. Luke’s immer die Schuluniform gebügelt hatte, und jetzt kaufte sie ihm auch noch neue Sachen für seine Gerichtsverhandlung im Old Bailey. Das war alles zu viel, alles zu schmerzhaft. Er war sehr dankbar für ihren Besuch, aber jetzt wollte er, dass sie ging, damit er wieder in seiner Zelle verschwinden konnte. Ein Schauer der Erleichterung überlief ihn, als ein Tuten das Ende der Besuchszeit verkündete, und er hoffte inständig, dass seine Mutter nicht gemerkt hatte, wie ihm zumute war.
    »Dann auf Wiedersehen«, sagte er und stand auf. »Danke für den Besuch.

Weitere Kostenlose Bücher