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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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Und komm gut nach Hause!«
    Sie sah ihn scharf an, während er diese Worte von sich gab. Dann beugte sie sich zu ihm, nahm seinen Kopf in beide Hände, und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
    »Ich habe dich zur Welt gebracht«, sagte sie. »Sie haben nicht das Recht, dich deiner Mutter wegzunehmen.«
    Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und ging den Gang hinunter. Er sah ihr nach, bis sie verschwunden war, doch sie blickte kein einziges Mal zurück.
     
    Toomes war noch nicht da, als David in seine Zelle zurückkehrte. Er legte sich auf seine Pritsche und schloss die Augen. Der Besuch seiner Mutter hatte ihn vollkommen durcheinandergebracht, und Bilder aus der Vergangenheit tauchten ungebeten vor ihm auf. Er schob die Erinnerungen mit Mühe beiseite, doch eine wollte einfach nicht verschwinden. Es war ein Winternachmittag vor neun Jahren, und er stand am offenen Grab seines Vaters, in einem entlegenen Winkel des Friedhofs von Wolvercote. Neben ihm standseine Mutter in eben dem grauen Kleid, das sie auch beim heutigen Besuch angehabt hatte. Es war kalt, bewölkt, und ein starker Regen setzte ein. David wurde nass, ohne es zu merken. Er starrte auf den braunen Sarg zu seinen Füßen, auf den die Regentropfen fielen – tap, tap, einer nach dem anderen, bis ein regelmäßiger Rhythmus entstand. Jeder einzelne Tropfen landete mit einem Spritzer und vergrößerte die Wasserpütze auf dem Sargdeckel.
    David wusste, dass unter dem Deckel sein Vater lag, gekleidet in einen Anzug aus dünnem, schwarzen Stoff, in der gleichen Farbe wie der, den David trug. Und er fragte sich, ob sein Vater wohl auch nass wurde und die Kälte spürte.
    In der Mitte war ein Messingschild angebracht, auf dem stand
John David Swain 1900–1952
. Der Vater von David Swain, der bei Regenwetter in einem Loch im Boden in einer Holzkiste lag, und auf den seine Familienangehörigen heruntersahen.
So ist das
, hatte David damals einen Moment lang gedacht. Dies hier war die Wahrheit. Nicht Geschäfte und Kinos und Cafés, nicht flüchtige Empfindungen von Liebe oder Glück, nein, das hier: Regen, der auf eine Kiste fällt. Alles andere war nur schöner Schein – und schlimmer als eine Lüge.
    Er hatte noch an diesem Grab gestanden, als das Begräbnis längst vorbei war, die Trauergemeinde sich verlaufen hatte und der Regen nur noch auf ihn und seine Mutter neben ihm fiel. Irgendwann nahm sie seine Hand und versuchte, ihn wegzuziehen, doch er widersetzte sich still und rührte sich nicht vom Fleck. Schließlich gab sie auf, ging um den Erdhaufen am Fuß des Grabes herum und dann den Weg zum Auto entlang. Er blieb alleine mit seinem toten Vater in der eintretenden Dunkelheit zurück, bis er den Sarg fast nicht mehr sehen konnte und ein Totengräber mit fahlem Gesicht ihn wegführte.

Kapitel Neunzehn
    Trave saß über den Küchentisch gebeugt, den Kopf auf die Hände gestützt. Er ignorierte das Telefon, das zum dritten Mal innerhalb von zehn Minuten klingelte. Am liebsten hätte er es gegen die Wand geworfen – irgendwie musste er die Wut rauslassen, die sich seit seiner Disziplinaranhörung am Tag vorher angestaut hatte.
    Zu dritt hatten sie ihm an einem langen Tisch gegenübergesessen, und das in einem Zimmer, von dem aus man einen herrlichen Blick auf die Christchurch Cathedral hatte – ausgerechnet. In der Mitte der Chief Constable – der Polizeichef – in Uniform, neben ihm Creswell, und auf der anderen Seite ein Justiziar aus dem Innenministerium, ein kleiner Mann mit buschigen Augenbrauen, der extra aus London angereist war, um Trave in die Pfanne zu hauen. Und das hatte er auch getan. Trave war auf die Härte der Befragung nicht vorbereitet gewesen, und seine Antworten hatten schwach und wenig überzeugend geklungen – auch für ihn selbst. Mehrmals hatte er versucht, seine Zweifel an Swains Schuld zu artikulieren, doch der Justiziar hatte ihm das Wort im Mund umgedreht, sodass es aussah, als seien seine Bedenken nichts als Ausflüchte, die er sich nach und nach zurechtgelegt hatte, um seinen Rachefeldzug gegen Titus Osman führen zu können.
    Das Problem war, dass die Beweise alle in die gleiche Richtung wiesen. Trave konnte nicht länger den bestehenden Interessenskonflikt leugnen, den er ignoriert hatte. Und er musste zugeben, dass dieser Konflikt sein Vorgehen bei den Ermittlungen durchaus beeinflusst hatte, etwa, als er ohne jeden Anlass auf einen Belastungszeugen losgegangen war, und zwar unmittelbar vor dessen Haus. Noch

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