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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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schwindlig, und sie wünschte sich, all ihre Bedenken und Ängste von sich werfen zu können. Dies war die Verheißung einer neuen Welt, die Chance auf ein zweites Leben: Sie musste nichts tun außer zu nicken und ja zu sagen. Und das tat sie auch.
    »Ja«, sagte sie. »Ja, ich will.«
    Und blitzartig, ohne dass sie Zeit gehabt hätte, es sich noch einmal zu überlegen, nahm Titus den Ring aus der Schachtel und steckte ihn ihr an den Finger. Daraufhin nahm er Vanessa in den Arm und küsste sie lang und innig. Er hielt sie fest an sich gepresst. Sie legte den Kopf auf seine Schulter und bewegte sich nicht, während Titus ihr langes, braunes Haar streichelte und über ihren Kopf hinweg zu Cara, seiner Katze, blickte, die schon den ganzen Nachmittag in einem Sessel in der Ecke gelegen hatte. Die Katze hob den Kopf und fing an zu schnurren, als sie bemerkte, wie triumphierend die blauen Augen ihres Herrchens blitzten …
     
    »Warum heißt er Regent?«, fragte Vanessa, als sie später bei Kerzenlicht zu Abend aßen, Seite an Seite am Ende des langen Esstischs. Von Claes oder seiner Schwester war den ganzen Tag nichts zu hören gewesen.
    »Weil Thomas Pitt den Diamanten im Jahr 1717 an den Herzog von Orléans verkauft hat, den Regenten von Frankreich, und er so Teil der Kronjuwelen wurde. König Ludwig XV. trug ihn beim Empfang des türkischen Botschafters im März 1721 erstmals in der Öffentlichkeit, und damals hieß es, in puncto Schönheit und Gewicht könne kein einziger der bislang in Europa bekannten Diamanten mit ihm mithalten. Die Frau des nächsten Königs, Marie Antoinette, ließ ihn dann an einem schwarzen Samthut anbringen …«
    »Sie starb auf der Guillotine«, warf Vanessa ein und runzelte die Stirn. »Lastet ein Fluch auf dem Stein? Sag mir die Wahrheit, Titus. Ich weiß, dass es so etwas gibt.«
    »Ich denke nicht, dass du dir Sorgen machen musst, Liebes«, sagte Titus lächelnd. »Was du da am Finger hast, ist nur ein kleines Stück des Regenten. Und abgesehen davon bin ich überzeugt davon, dass er ein Glücksbringer ist. Vor etwa hundert Jahren trug ihn die Kaiserin Eugenie in einem Diadem. Auf dem Weg zur Oper warfen ihr Revolutionäre drei Bomben in die Kutsche, doch sie und ihr Mann blieben unverletzt – obwohl der Kutscher und die Pferde ums Leben kamen.«
    »Es ist schön, wie du über die Vergangenheit redest«, sagte Vanessa und sah Titus voll Liebe und Bewunderung an. »Sie wird richtig lebendig.«
    »Die großen Diamanten haben einen Zauber«, sagte Titus. »Ich tue nichts, als ihre Geschichte zu erzählen. Aber man muss sie vor Augen haben, um wirklich verstehen zu können. Lass uns in den Flitterwochen nach Paris fahren, dann kannst du den Regent im Louvre ansehen, in all seiner funkelnden Pracht.«
    »Nein, nicht nach Paris«, sagte Vanessa und wurde plötzlich ernst. In Paris waren sie und Bill in den ersten Ehejahren oft gewesen. Ganze Nachmittage hatten sie damit zugebracht, den Bois de Boulogne oder den Jardin du Luxembourg zu durchstreifen, in den Staßencafés zu sitzen und den Jazzbands zuzuhören. Paris war Teil der Vergangenheit, und so sollte das auch bleiben.
    »Nicht?«, fragte Titus und sah Vanessa verblüfft an. »Wir können natürlich auch anderswo hin: nach Istanbul, Bagdad, Tierra del Fuego – wohin du willst, Vanessa. Aber ich möchte nicht länger warten – sag mir, wann du mit deinem Mann redest.«
    »Bald. Ich verspreche es«, sagte Vanessa.
    »Denkst du, er willigt ein? In die Scheidung?«
    »Ja, da bin ich mir sicher. Er ist ein anständiger Mensch. Aberich muss mit ihm allein sprechen. Das ist das Mindeste, was er verdient hat.«
    Titus nickte zufrieden, doch Vanessa musste sich wegdrehen. Die Aussicht, ihren Mann wiederzutreffen, bestürzte sie. Für einen Augenblick fühlte sie sich wie ein Schwimmer, der in einen wunderschönen Fluss springt und dann merkt, dass er bei weitem kälter und reißender ist als erwartet.

Kapitel Achtzehn
    Dies war ein anderes Gefängnis. Dies war Pentonville, Nord-London. Aber es gab dieselben hohen Mauern, denselben Stacheldraht, dieselben Gitterstäbe wie in allen anderen Haftanstalten, die David von innen gesehen hatte, nachdem er vor zweieinhalb Jahren wegen Mordes an Ethan Mendel eingelocht worden war. Er trug sogar noch die gleiche Nummer. Und doch hatte sich etwas verändert. Denn er war nicht mehr nur eine Nummer – jetzt war er jemand, den man kannte. Wenn er über den Gefängnishof ging oder in der Kantine beim Essen

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