Der König der Diamanten
Trave mit wenig einladender Stimme. Besuch zu empfangen, war so ziemlich das Letzte, wonach ihm gerade der Sinn stand.
»Nicht mehr in dieser verdammten Kälte rumstehen«, antwortete Clayton, der seine Aussage unterstrich, indem er mit den Füßen stampfte und die Hände aneinander rieb.
»Na gut, dann kommen Sie halt rein«, sagte Trave und trat widerwillig beiseite. »Aber ich warne Sie – ich bin überhaupt nicht in Besuchslaune.«
»Ich weiß. Schließlich habe ich dreimal angerufen, ohne dass jemand ranging. Lief die Anhörung so schlecht?«
»Noch schlechter«, sagte Trave mürrisch. »Dieser verfluchte Chief Constable ist dabei, mich abzuservieren.«
»Das tut mir leid«, sagte Clayton mit besorgter Miene. »Ich hätte nicht geklingelt, wenn die Sache nicht so dringend wäre.«
»Was ist so dringend?«, fragte Trave.
»Ich habe Jacob gefunden. Ich weiß, wo er wohnt.« Clayton sagte das wie jemand, der im Zirkus ein Kaninchen aus dem Hut zaubert, und erreichte auch den gewünschten Effekt. Trave stand für einen Moment mit offenem Mund da.
Kurz nach seiner Rückkehr aus Antwerpen hatte er Clayton Aliza Mendels Foto von ihrem Enkel gegeben. Jacobs Gesicht war in seinem Gedächtnis längst eingeprägt. Ein Polizist im Dienst würde viel eher auf Jacob stoßen als einer auf dem Abstellgleis. Das war natürlich nur ein frommer Wunsch gewesen, und er hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass es Erfolge geben würde. Trave wusste, dass Clayton Macrae unterstand, welcher wiederum im Fall Katya Osman keine weiteren Ermittlungen für nötig hielt, zumal jetzt Swains Verhandlung begonnen hatte. Außerdem gabes ja keinerlei Hinweis darauf, dass Jacob tatsächlich in Oxford war: Das hatte Aliza angesichts der Besessenheit, mit der er Katyas Onkel verdächtigte, nur vermutet.
»Wie haben Sie ihn entdeckt?«, fragte Trave, nachdem er sich wieder gefangen hatte. »Wo ist er?«
»Er wohnt in einem Ein-Zimmer-Apartment in der Nähe der Iffley Road. Er nennt sich Edward Newman, was in gewisser Weise ein zutreffender Deckname ist, denn er sieht völlig anders aus als auf dem Bild, das Sie mir gegeben haben. Neuerdings hat er einen Bart und trägt Jeans und Lederjacke. Und, wie Sie schon vermutet haben, auch eine Brille. Aber keine Sorge: Ich bin sicher, er ist es. Dass ich ihn aufgestöbert habe, liegt an dieser Osman-Obsession, von der Sie mir berichtet haben. Ich habe mir gedacht: Was macht jemand, der besessen ist? Ganz einfach: Er beobachtet das Haus der Person, von der er besessen ist. Deshalb bin ich letzte Woche ein paar Mal raus nach Blackwater Hall und bin dort den Weg am Bootshaus entlangspaziert und habe rein gar nichts entdeckt. Ich wollte das Ganze schon als Schnapsidee abtun, da hatte ich doch noch Glück: Denn heute wollte ich es ein letztes Mal probieren …«
»Was heißt, Sie hatten Glück?«, fragte Trave ungeduldig.
»Ein Motorroller war im Gebüsch versteckt, draußen am Zaun bei der Straße, und dann sah ich ihn am Ende des Weges, der durch das Wäldchen führt, dort, wo der Rasen vor Osmans Haus beginnt. Er stand hinter einem Baum und beobachtete das Haus durch ein Fernglas.«
»Hat er Sie gesehen?«
»Nein. Ich bewege mich recht leise. Als Kind habe ich beim Versteckspiel immer gewonnen«, sagte Clayton grinsend. »Ich bin also zurück zu meinem Auto, habe es außer Sichtweite gebracht und gewartet. Als er dann wieder zur Straße kam, bin ich ihm nach Hause gefolgt, was nicht so einfach war, denn er hatte ja eine Vespa. So etwas bringen sie einem nicht bei in der Grundausbildung.«
»Das tun sie in der Tat nicht«, pflichtete Trave bei. Er musterte seinen ehemaligen Assistenten und nickte dann kurz, als sei er mit dem Anblick zufrieden. »Das haben Sie verdammt gut gemacht, Adam. Ich bin stolz auf Sie«, sagte er und sah Clayton direkt in die Augen.
Dieser errötete vor Stolz. Das war das größte Kompliment, das er von Trave je erhalten hatte, und er speicherte es sorgfältig, um es später in Ruhe zu genießen zu können. Die vergangenen Ereignisse hatten die Bewunderung für seinen Ex-Chef kein bisschen gemindert, und hin und wieder fragte er sich, ob seine Zuneigung zu Trave und seine Abneigung gegenüber Macrae womöglich sein Urteilsvermögen trübten. Das Problem war, dass Clayton nicht wusste, was er von dem Fall halten sollte. Auf der einen Seite gab es die erdrückende Beweislast gegen David Swain. Auf der anderen zerbrach er sich bis zu diesem Tag den Kopf, was wohl in der
Weitere Kostenlose Bücher