Der König der Diamanten
Ihnen das Messer zeigen, die Mordwaffe – es handelt sich dabei um das Beweisstück 3, Euer Ehren. Haben Sie dieses Messer schon einmal gesehen, Miss Osman?
ZEUGIN
: Das ist möglich. David hatte mehrere solcher Messer in seiner Wohnung. Ob es genau das hier war, kann ich nicht sicher sagen.
STAATSANWALT
: Danke, Miss Osman. Bleiben Sie bitte noch einen Moment hier, mein gelehrter Kollege hat sicher auch ein paar Fragen an Sie.
Trave erhob sich vom Tisch und schenkte sich noch einen Kaffee ein. Er verzog das Gesicht: um ihn herum nur Staub und Unordnung. In der Spüle schmutziges Geschirr, auf seinem Schreibtisch in der Ecke Stapel unerledigter Korrespondenz. Er wusste natürlich, dass dieses Chaos symptomatisch für sein völlig außer Kontrolle geratenes Leben war. Auch die Vermerke auf dem Wandkalender der Oxfordshire Police Force belegten das:
Disziplinaranhörung – Vanessa – Aussage Old Bailey
. Unter dem heutigen Datum könnte er glatt einfügen:
gekündigt worden
.
Kalender, Protokolle – Katya hatte Protokoll geführt, ein Tagebuch. Deshalb konnte sie sich so völlig sicher sein, an welchem Tag David Swain ihr und Ethan am Bootshaus nachspioniert hatte. Und das war ja nicht nur ein Terminkalender, sondern ein richtiges Tagebuch, das ihr dazu diente, »mit Dingen fertigzuwerden«. So hatte sie das formuliert. Genau diese Erwähnung des Tagebuchs war das, woran Trave sich tags zuvor im Gerichtssal zu erinnern versucht hatte. Aber wo befand sich dieses Tagebuch jetzt? Hatte Osman es gefunden? Wahrscheinlich. Trave konnte sich gut an das aufgeräumte Zimmer in der Mordnacht erinnern. Allerdings war das nicht zwingend so, denn vielleicht hatte Osman keine Ahnung von diesem Tagebuch gehabt. Wenn er gar nicht wusste, dass es existierte, hatte er auch nicht danach gesucht. Und Katya war ja ein Mädchen, das es liebte, Geheimnisse zu haben. Die heimlichen Verabredungen hinter dem Rücken ihres Onkels oder ihre Vorliebe für das Bootshaus belegten das. »Das war unser Ort, unser Geheimnis.«
Und doch hatte sie bei ihrer Aussage das Tagebuch angesprochen. Aber da antwortete sie auch auf eine Frage von Arne und tat es vielleicht, ohne groß nachzudenken. Als sie dann mit ihrem Onkel heimfuhr, bereute sie das vielleicht – und konnte nur hoffen, dass es niemandem aufgefallen war. Trave ging im Wohnzimmer auf und ab, während er krampfhaft versuchte, seine Gedanken zu sortieren. Ihm war vollkommen klar, dass das alles reineSpekulation war und er sich an einem Strohhalm festklammerte, genau wie er das zwei Tage vorher Jacob vorgeworfen hatte. Aber wenn er nun mal nichts außer diesem Strohhalm hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich daran festzuklammern – egal, wie sinnlos das auch schien. Die einzige Alternative dazu wäre Nichtstun – und das kam nicht in Frage.
Gesetzt den Fall, Katya hatte ein geheimes Tagebuch: Wo um alles in der Welt konnte es dann sein? Trave war klar, dass er nicht wie Jacob in Blackwater Hall einbrechen konnte, um danach zu suchen. Erstens würden Osman und Claes aufpassen wie die Schießhunde, zweitens wusste er überhaupt nicht, wo er suchen sollte. Katyas Zimmer hatte man vor ihrem Tod aufgeräumt, und danach hatte die Spurensicherung es auf seine Anweisung hin auf den Kopf gestellt und nichts entdeckt. Wenn das Tagebuch wirklich im Zimmer war, musste es an einem Ort versteckt sein, der routinemäßig weder von ihrem Onkel noch von der Polizei zu erfassen war. Um Erfolg zu haben, musste Trave mit jemand sprechen, der das Versteck kannte, jemand, dem Katya vertraut hatte. In all den Jahren der Ermittlung von Kriminalfällen hatte Trave eins gelernt: Geheimnisse existierten, um preisgegeben zu werden, um denen, die wir lieben – oder glauben zu lieben –, zugeflüstert zu werden. Und wen hatte Katya geliebt? Ethan. Aber der war tot. Und davor David. Trave erinnerte sich an die Stelle im Protokoll:
Mein Onkel mochte David nicht, deshalb konnte ich ihn nicht im Haus empfangen.
Niemals?
Einmal habe ich ihn reingelassen, als mein Onkel nicht da war.
Trave fragte sich, was wohl passiert war, als Katya ihren Geliebten dieses eine Mal mit ins Haus genommen hatte. Es war ein Akt der Rebellion, mit dem sie David zu verstehen gab, dass sie die Beziehung mit ihm über das stellte, was ihr Onkel von ihr verlangte.Und als sie dann im Haus waren, oben in ihrem Zimmer – ging sie dann noch weiter? Zeigte sie David etwas? Teilte sie ihre Geheimnisse mit ihm, um ihm zu
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