Der König der Diamanten
man sie für die Nacht wieder in ihre jeweiligen Gefängnisse brachte. Trave musste fast fünf Minuten warten, bis jemand aufmachte, aber er verzichtete darauf, Sturm zu klingeln. Möglicherweise hätte das die Dinge beschleunigt, aber ihm war klar, dass er ohne ein Entgegenkommen der Wärter nie und nimmer mit David würde sprechen können, bevor man ihn zurück nach Pentonville brachte.
Er hatte Glück. Dem jungen Wärter, der die Türe öffnete, reichte es, dass Trave mit seinem Dienstausweis wedelte und sagte, er sei ein Polizeibeamter, der gern mit David Swain sprechen würde – dem Angeklagten aus dem Gerichtssaal Nr. 1. Trave trug seinen Namen in ein Buch ein und nahm in einem kleinen Besuchszimmer mit Glasscheibe Platz. Auf der anderen Seite des Ganges gestikulierte ein narbengesichtiger Mann wild mit einem Anwalt, der immer noch Pferdehaarperücke und Robe trug. Durch die offene Türe konnte Trave ein wirres Durcheinander von Stimmen, Schritten und rasselnden Schlüsseln hören. Schließlich, als er fast schon aufgeben wollte, tauchte David Swain in der Tür auf.
»Sie schon wieder«, sagte er und ließ sich auf den Stuhl fallen, ohne Trave die Hand zu geben. »Ich dachte, Sie als Belastungszeuge dürfen nicht mit mir reden. Zumindest hat das meine Mutter gesagt.«
»Sie hat recht. Ich habe gelogen, um hier hereinzukommen.«
»Was haben Sie gesagt?«
»Dass ich Polizeibeamter bin.«
»Na, das sind Sie ja auch.«
»Nicht mehr. Ich wurde heute Morgen gefeuert.«
»Sieht so aus, als hätte Katya keinem von uns Glück gebracht, oder?«, sagte David und sah Trave zum ersten Mal in die Augen. Dieser merkte zu seiner Erleichterung, dass im Gesicht des jungen Mannes keine Ablehnung zu erkennen war, nur eine unergründliche Traurigkeit, die ihn jetzt deutlich älter wirken ließ als bei ihrem letzten Treffen. »Sie glauben gar nicht, wie mich das hier anwidert. Jeder Tag ist schlimmer als der vorige«, fuhr David mit müder Stimme fort, ohne darauf zu warten, dass Trave seine Frage beantwortete. »Eddie ist ein professioneller Lügner, und die Geschworenen haben jedes einzelne Wort förmlich aufgesogen. Ich konnte es in ihren Augen sehen. Dieser Prozess ist ein Witz und nichts anderes. Claes und Macrae können mit ihrem Werk zufrieden sein.«
»Und was ist mit Osman?«, fragte Trave.
»Was soll mit ihm sein? Keine Ahnung, ob er da mit drinhängt oder nicht. Claes betrügt ihn wahrscheinlich wie alle anderen auch. Das würde ich ihm glatt zutrauen. Claes ist der, der hinter allem steckt, wissen Sie? Er war derjenige, der beide Male auf mich gewartet hat. Nicht Osman. Beim Bootshaus, als Ethan starb, und vor Katyas Zimmer, als ich wegrennen wollte. Er ist ganz schön gerissen – das muss man ihm lassen. Zu gerissen für Leute wie uns, Inspector. Sehen Sie den Tatsachen ins Auge – wir zwei haben nichts mehr zu melden. Die da oben sollten einfach mit dem Gelaber aufhören und mich morgen aufknüpfen.«
»Nein«, sagte Trave grimmig. »Das lasse ich nicht zu.«
David sah Trave kurz an, als sei er geistesgestört, doch dann entspannte sich sein Gesichtsausdruck. »Sie meinen es gut«, sagte er. »Und Sie wollen mir helfen. Das weiß ich. Aber das Problem ist, dass Sie es nicht können. Das ist alles eine Nummer zu groß für Sie, Inspector. Finden Sie sich einfach damit ab.«
»Nein, glauben Sie mir«, sagte Trave und griff über den Tisch nach Davids Händen. »Es gibt da etwas – eine Chance.«
»Eine Chance?«, fragte David und zog überrascht seine Hände zurück. Dieser Gefühlsausbruch passte gar nicht zu Trave.
»Katya hat Tagebuch geführt. Vielleicht ist es noch irgendwo, vielleicht hat Osman es nicht gefunden. Hat sie Ihnen davon erzählt? Hat sie?«, fragte Trave mit Nachdruck, doch Davids Gesicht blieb ausdruckslos.
»Und was war an dem Nachmittag, als Sie mit ins Haus durften, mit nach oben in ihr Zimmer – als Osman nicht da war? Hat sie Ihnen da etwas gezeigt?«, bohrte Trabe weiter. Seine Augen fixierten David in Erwartung einer Antwort, und langsam, als würde ein Gebet erhört werden, schien dessen Erinnerung wiederzukehren.
»Ja, sie hat mich geküsst«, sagte er schnell, als spräche er über einen Moment in der Vergangenheit, der ihm komplett entfallen war. »Außerdem hat sie ein dickes Buch aus dem Regal gezogen und es aufgeklappt – es war ausgehöhlt. Und darin war ein anderes Buch, eines mit ihrer Schrift, und sie schlug es in der Mitte auf und zeigte mir ein Bild, das sie
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