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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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beweisen, wie wichtig er für sie war? Das war natürlich ziemlich weit hergeholt, aber trotzdem etwas, worüber man mit David reden müsste – gesetzt den Fall, es gäbe diese Möglichkeit. Aber daran war nicht zu denken. Ein Belastungszeuge durfte während des Prozesses nicht mit dem Angeklagten sprechen. Und selbst wenn er irgendwie an den Gefängniswärtern vorbeigelangen könnte, war es nicht sicher, ob David ihn überhaupt sehen wollte. Ihr Treffen im Cricket-Pavillon hatte ja eher unerfreulich geendet. Er erinnerte sich gut daran, wie David ihn tags zuvor im Gerichtssaal angestarrt hatte, während er seine Aussage machte. Wie man es auch wendete: Trave wusste, dass er es probieren musste.
    Er sah auf die Uhr. Es war schon zwölf, aber nach all dem Alkohol, den er am Abend vorher konsumiert hatte, wollte er lieber nicht Autofahren. Er rief die Wache an und hoffte, Clayton dort zu erreichen. Doch man sagte ihm, Clayton sei mit Detective Constable Wale unterwegs. Trave zögerte keine Sekunde und rief ein Taxi, um zum Bahnhof zu gelangen. Wenn Clayton ihn nicht nach London fahren konnte, musste er eben den Zug nehmen.
    Es war schon Nachmittag, als er im Old Bailey ankam. Etliche Zuschauer waren schon gegangen, so fand Trave in den hinteren Reihen der Zuschauertribüne des Gerichtssals Nr. 1 einen Sitzplatz. Im Zeugenstand befand sich gerade Eddie Earle. Der wichtigste Zeuge der Staatsanwaltschaft war nach wie vor ein Häftling, aber irgendjemand, wahrscheinlich Macrae, hatte ihm Anzug und Krawatte besorgt, sodass er jetzt ziemlich seriös wirkte.
    Zu Traves Überraschung schien Eddie gern auszusagen und keinerlei Hemmungen zu haben, seinen ehemaligen Zellengenossen ans Messer zu liefern. Er war wieder ganz der alte Easy Eddie, der es genoss, im Mittelpunkt zu stehen, und vollkommen in der Nacherzählung ihrer Flucht aufging. Der Staatsanwalt musste ihnimmer wieder unterbrechen, sonst hätte er wohl noch am Ende der Woche von seinen Heldentaten berichtet.
    Trave konnte verfolgen, wie Davids Anwalt alles Mögliche versuchte, um Eddies Glaubwürdigkeit zu erschüttern, als beim Kreuzverhör die Reihe an ihm war. Er unterstellte Eddie das Naheliegende – dass er Lügen erzählte, um für seinen Ausbruch Strafmilderung zu erlangen –, las den Geschworenen Eddies lange Vorstrafenliste vor und befragte Eddie zu der Verbindung mit John Bircher, dem Freund von Claes. Aber Eddie hatte keine Mühe, die Angriffe abzuwehren. Und es war leicht zu erkennen, dass das, was die Geschworenen am meisten interessierte, Eddies Bericht von den nächtlichen Gesprächen in der gemeinsamen Zelle war. Mochte Davids Anwalt sich noch so sehr anstrengen, er konnte doch nichts daran ändern, dass es glaubhaft wirkte, wie Eddie von Davids zunehmender Wut auf Katya erzählte, der er die Schuld an seinem Unglück gab. Es war nicht zu bestreiten: Eddies Aussage ließ keinen Zweifel daran, dass der Angeklagte hochmotiviert war, das Verbrechen zu begehen, dessentwegen er vor Gericht stand.
    Trave sah auf Eddie hinunter und wünschte sich, er könne die Zeit zurückdrehen bis zu dem Moment, als er im Verhörraum des Polizeireviers seine Hand darauf verwettet hätte, dass Eddie im nächsten Moment mit der Wahrheit herausrücken würde. Über Bircher und Claes. Über die Fahrt mit David und darüber, dass er ihm in Blackwater Hall eine mit Platzpatronen geladene Waffe gegeben hatte. Als Creswell noch nicht hereingekommen war und ihm den Fall entzogen hatte. Trave sah noch genau vor sich, wie Macrae ihn über Creswells Schulter hinweg vom Gang aus angegrinst hatte. Er verstand genau, was bei diesem Prozess passierte – alle relevanten Beweise deuteten in ein und dieselbe Richtung. Es war, als würde der Angeklagte in einen tiefen Steinbrunnen stürzen und als seien die wenigen Pluspunkte, die sein Anwalt herausarbeitete, nichts als die Kratzer, die seine Finger bei der verzweifelten Suche nach Halt an den Wänden machten.
    Um halb fünf war Eddie mit seiner Zeugenaussage fertig, und der Richter beendete die Verhandlung für diesen Tag. Trave war klar: jetzt oder nie. Er sah noch zu, wie David von den Saaldienern die Stufen der Anklagebank hinuntergeführt wurde, dann verließ er die Zuschauertribüne, rannte fünf Treppen hinunter bis ins Untergeschoss des Gerichtsgebäudes und klingelte an einer Eisentür mit der Aufschrift
Zellen
. Um diese Zeit war hier viel Betrieb, denn die Häftlinge mussten für den Transport zusammengesammelt werden, bevor

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