Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
Vom Netzwerk:
genüsslich. Er drehte sich zur Seite, um bei einem vorbeigehenden Kellner seine Bestellung zu machen, doch Osman schickte den Mann wieder weg. Er konnte nicht sagen, was genau ihn an Macrae so über alle Maßen störte oder warum er sich in seiner Gesellschaft so erniedrigt fühlte. Aber so war es nun mal, und er hatte nicht die Absicht, ihr Beisammensein länger zu gestalten als unbedingt nötig.
    »Und was ist mit Jacob?«, fragte er, indem er sich nachschenkte, Macraes Glas aber absichtlich leer ließ.
    »Er ist untergetaucht, aber wir werden ihn finden.«
    »Das würde ich Ihnen auch raten. Bevor er mich findet. Denken Sie daran – er ist bewaffnet.«
    »Ich werde daran denken«, sagte Macrae, ohne wirklich besorgt zu klingen. »Aber was glauben Sie, wer Swains Anwalt die Dokumente über Ihren Schwager geschickt hat – Trave oder er?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht beide gemeinsam. Ich bin ja kein Hellseher«, sagte Osman, während er vom Tisch aufstand und sich keinerlei Mühe gab, seinen Unmut zu verbergen. »Schauen Sie einfach, dass Sie Mendel finden. Bevor er noch mehr Schaden anrichtet.«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, zog Osman einen Briefumschlag aus der Innentasche seines Jacketts, legte ihn auf den Tisch und ging ohne ein Wort des Abschieds davon. Draußen stieß er beinahe mit Jonah Wale zusammen, der auf dem Trottoir herumstand. Wale sagte Hallo, doch Osman erwiderte den Gruß nur mit einem flüchtigen Nicken und stieg in seinen Bentley. Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als Franz Claes endlich losfuhr.
    Macrae verfolgte Osmans Abfahrt durch das Fenster, nahm dann den Umschlag und prüfte zufrieden seinen Inhalt. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Pâté de foie zu, die er als Vorspeise zu seinem Coq au Vin bestellt hatte. Es bereitete ihm ungemeine Freude, zu wissen, dass Jonah ihm durchs Fenster beim Essen zusah.
     
    Dreieinhalb Meilen entfernt saß auch Inspector Trave beim Essen. Er hatte die kalten Reste vom Vortag sowie ein Glas Leitungswasser vor sich und aß mechanisch, als verschaffe ihm das Kauen und Schlucken weder Genuss noch Unbehagen. Tatsächlich war er ganz woanders, denn seine Gedanken kreisten um Katyas verschwundenes Tagebuch. Er war seinem Instinkt gefolgt, und seine Vermutung hatte sich als richtig erwiesen, aber das hieß ja noch lange nicht, dass dieses Tagebuch noch existierte. Aus eigener Erfahrung wusste Trave, dass ein Happy End im wirklichen Leben selten war. Selbst wenn in dem Tagebuch irgendetwas Wichtiges geschrieben stand, hatte Osman es sicher entdeckt, als er nach dem Mord an Katya mit seinen Angestellten das Zimmer aufgeräumt hatte. Oder sogar schon vorher, als er bemerkt hatte, dassseine Nichte in seinen Sachen herumstöberte. So war es höchstwahrscheinlich abgelaufen, dachte Trave. Sie musste etwas entdeckt haben, sonst hätte Osman sie ja nicht beseitigen müssen. Dass dieser für den Tod seiner Nichte verantwortlich war, hielt Trave mittlerweile für ebenso sicher wie das Amen in der Kirche. Eine andere Erklärung gab es nicht, und dabei war ihm vollkommen gleichgültig, dass niemand diese Meinung teilte. Niemand außer Jacob Mendel, der aber spurlos verschwunden war und sich dazu noch auf der Flucht vor dem Gesetz befand.
    Wahrscheinlich war das Tagebuch zerstört worden. Wahrscheinlich war es völlig sinnlos, danach zu suchen. Aber Wahrscheinlichkeit und Sicherheit waren nun mal zwei verschiedene Dinge. Vielleicht existierte es noch, versteckt in einem ausgehöhlten Buch in Katyas Regal, und wartete darauf, gefunden zu werden.
    In Katyas Regal hatten große und kleine Bücher gestanden – gebundene und solche im Taschenbuchformat. Trave konnte sie direkt vor sich sehen, denn er erinnerte sich daran, wie der Gerichtsmediziner ihn nach dem Foto der Eltern auf dem Regal gefragt hatte. Stand dort das betreffende Buch? Und wartete?
    Die einzige Möglichkeit, das herauszufinden, war nachzusehen. Trave war sich im Klaren darüber, dass er das auf keinen Fall selbst machen konnte. Eine offizielle Durchsuchung lag längst nicht mehr im Bereich des Möglichen, und eine heimliche Suche würden Osman und Claes nach dem, was Jacob sich vor drei Tagen geleistet hatte, zu verhindern wissen. Nein: Die einzige Person, die, wenn überhaupt, Katyas Zimmer ungehindert betreten und wieder verlassen konnte, war Vanessa.
    Trave wurde schlecht bei dem Gedanken, dass er seine Frau bitten musste, nach dem Tagebuch zu suchen, doch eine andere Idee

Weitere Kostenlose Bücher