Der König der Diamanten
fünfzehn berittene Bundespolizisten zum Narren gehalten. Mit einer selbstgemachten Kanone, aus Holz geschnitzt und mit Schuhcreme schwarz gefärbt. Ich will allerdings bei meinem Abgang, wenn irgend möglich, nicht gesehen werden.«
»Und warum machst du es?«
»Ausbrechen? Weil das die Hoffnung wachhält, einen lebendig macht. Hier drin kann man sich leicht verlieren. Was glaubst du, warum sie zwischen den Etagen diese Selbstmordnetze hängen haben? Und dieses Mal muss ich auch. Ich konnte ein paar Schulden nicht eintreiben, bevor ich verurteilt wurde, und jetzt läuft mir die Zeit weg.«
Eddie stand auf, stellte sich unter das Fenster und sah hinunter auf seinen Zellenkollegen. Er nahm einen Shilling aus der Hosentasche und bewegte die Münze mehrmals zwischen den Fingern hin und her, bevor er das Schweigen brach.
»Also: bist du dabei?«, fragte er. »Ich muss das wissen, Davy, weil die Gerüste nicht ewig da stehen und ich planen muss. Und wenn du nicht mitmachst, muss ich jemand anderen suchen.«
David antwortete nicht gleich. Ein Teil in ihm glaubte immernoch nicht, dass Ausbrechen möglich war. Dieses Gefängnis war wie eine verdammte Festung, auch wenn es sich mitten in der Stadt befand. Andererseits: Was hatte er schon zu verlieren? Was machten schon ein paar Jahre zusätzlich zu seiner lebenslänglichen Haftstrafe? So oder so würde er ein alter Mann sein bei der Entlassung, weit über dem Verfallsdatum.
»In Ordnung, ich mache es«, sagte er. »Aber sobald wir draußen sind, brauche ich Geld und eine Kanone. Und zwar nicht so eine Attrappe wie dieser Amerikaner. Eine echte, mit Kugeln drin. Kannst du mir die besorgen?«
Eddie sah seinen Kollegen prüfend an und presste die Lippen zusammen. Erneut fühlte sich David an einen Buchmacher erinnert, der die Gewinnchancen berechnet. Doch dann, ganz plötzlich, nickte er, ging auf David zu und streckte ihm die Hand entgegen, um ihre Abmachung zu besiegeln.
Kapitel Vier
Vanessa schenkte sich selbst ein Lächeln in dem Spiegel über dem Kamin des Salons, dann schloss sie die Augen. Wenn nur Titus wiederkäme. Als würde ihr Wunsch erhört, ging hinter ihr die Türe auf, und sie drehte sich um und sah, wie er quer durchs Zimmer auf sie zukam.
»Verzeih, Liebes. Das war nicht das, was mir für den Abend vorgeschwebt hat«, sagte er, nahm Vanessa bei der Hand und führte sie hinüber zu dem Sofa, auf dem noch vor wenigen Minuten Katya gelegen hatte.
»Wie geht es ihr? Sie wirkte krank, Titus, richtig krank. Muss sie nicht ins Krankenhaus?« Vanessa sprach so schnell, dass sie fast stotterte. Als hätte sie bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht gemerkt, wie sehr Katyas Auftauchen und Zusammenbruch sie mitgenommen hatte.
»Nein, es geht ihr besser. Sie wird bis morgen Früh durchschlafen. Sie hat ein Beruhigungsmittel bekommen. Katya ist sich selbst ihr größter Feind, verstehst du? Sie isst nicht, sie schläft nicht. Sie könnte ohne weiteres wieder zu sich finden, wenn sie sich nur ein wenig anstrengen würde. Aber sie tut es nicht. Wie ich schon sagte, es ist, als hätte sich nach Ethans Tod ein Schalter umgelegt, und jetzt scheint sie fest entschlossen, ihm nachzugehen. Aber das lasse ich nicht zu«, fügte Titus trotzig an.
Vanessa drückte seine Hand. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Es war ungewohnt, dass er so offen mit ihr sprach. Sie konnte den Schmerz in seiner Stimme hören, seine Verletzlichkeit, und vor lauter Mitgefühl tat ihr selbst das Herz weh. Das Letzte, was sie jetzt beabsichtigte, war, ihn noch mehr aufzuregen, aber sie wusste, dass ihr keine andere Wahl blieb. Natürlich wirkte es weit hergeholt, dass Franz oder sonst irgendjemand vorhabensollte, das Mädchen hinter seinem Rücken umzubringen, aber Titus musste erfahren, was seine Nichte gesagt hatte. Doch gerade, als sie den Mund öffnen wollte, kam Titus ihr zuvor.
»Als Katya hier unten war, hat sie da irgendetwas gesagt, Vanessa? Also, bevor sie ohnmächtig wurde?«
Vanessa konnte nicht gleich antworten, denn sie war viel zu erstaunt über die geistige Verbindung zwischen ihnen beiden. Fast schon beunruhigend, wie sehr ihre Gedanken sich im Tandem zu bewegen schienen.
»Ich frage nur, weil ich wissen muss, was sie vorhat. Ich bin der Einzige, der verhindern kann, dass sie wieder auf die Straße geht. Und ich befürchte, einen Rückfall würde sie nicht überleben.«
»Sie hat gesagt: ›Sie wollen mich umbringen.‹ Sie hat nicht gesagt, wer. Aber sie hat es ernst
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