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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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Eigenschaften eines echten Soldaten. In Gesellschaft kann er widerwärtig sein, insbesondere dem anderen Geschlecht gegenüber, und er neigt dazu, die Dinge – wie sagt man? – ziemlich in schwarz und weiß einzuteilen. Aber er ist anständig und aufrichtig. Und es gibt nichts, was er nicht für mich tun würde, Vanessa.«
    »Warum?«
    »Weil ich vor Jahren Gelegenheit hatte, ihm zu helfen, als er dringendHilfe benötigte. Ich war nämlich vor langer Zeit mit seiner Schwester verheiratet und …«
    Titus brach mitten im Satz ab, so, als würde er sich von einer unangenehmen Erinnerung abwenden. Vanessa hatte vergessen, woher sie wusste, dass Titus Witwer war, doch der Umstand war ihr bekannt, seit sie ihn kennengelernt hatte. Es schien, als sei die tote Frau zwar unsichtbar, aber dennoch immer anwesend. Sie hatte kein einziges Bild von ihr im Haus gesehen, und er hatte sie bis jetzt kein einziges Mal erwähnt.
    »Wie hieß sie denn?«, fragte Vanessa ruhig, beinahe flüsternd. Sie fühlte sich wie ein Kind, das eine verbotene Tür öffnet.
    »Amélie.«
    »War sie schön?«
    »Ja.«
    »Vermisst du sie?«
    »Hin und wieder. Mein Kind auch. Aber das ist zu schmerzhaft, und ich versuche, nicht an die beiden zu denken.«
    »Dein Kind? Ich habe gar nicht gewusst, dass du ein Kind hattest!« Vanessa war starr vor Erstaunen.
    »Ja, einen Sohn. Wie du. Aber er war jünger. Das ist mit ein Grund dafür, dass ich mich zu dir hingezogen fühle, Vanessa. Dass wir beide das gleiche durchgemacht haben, verloren haben, was wir liebten. Nach so einem Einschnitt ist das Leben nicht mehr wie vorher.«
    »Aber warum hast du das nie erwähnt? Etwa, als ich dir von Joe erzählte?«
    »Weil es in dem Gespräch um dich ging und nicht um mich. Ich wollte wissen, wie du dich fühlst. Nicht über mich sprechen.«
    Vanessa lehnte sich nach hinten und versuchte, sich im Irrgarten ihrer Gefühle zurechtzufinden. Sie konnte nicht verstehen, warum Titus nichts von seinem Verlust erzählt hatte, als sie von ihrem berichtet hatte, und dennoch verstand sie sehr gut, dass das so sein musste, weil er nun einmal der war, der er war. Sie erinnertesich genau an den Abend, an dem sie bis spät in ihrer Wohnung vor dem Kamin gesessen hatten und sie Titus die furchtbare Nacht des Motorradunfalls beschrieben und ihm in abgehackten Sätzen gestanden hatte, dass seither ihr ganzes Dasein mit einem Schleier der Bedeutungslosigkeit überzogen sei. Sie wusste noch genau, wie still und aufmerksam er ihr zugehört hatte und sie deshalb zum ersten Mal überhaupt von dem Unfall erzählen konnte. Und mit einem Mal erkannte sie, dass sie niemals so hätte erzählen können, ihre Seele entlasten können, wenn sich das Gespräch auch noch um ihn gedreht hätte. Sie spürte ein plötzliches Aufwallen von Zuneigung, von Dankbarkeit diesem Mann gegenüber – diesem Mann, den sie immer noch so gut wie gar nicht kannte.
    »Was ist mit ihnen geschehen? Mit deiner Frau und deinem Kind?«, fragte sie und beugte sich ebenso teilnahmsvoll wie besorgt zu Titus.
    »Sie sind im Krieg gestorben. Ganz zu Beginn, als die Deutschen kamen. Das war nichts Besonderes. Es gab viele Bombenangriffe, und viele Leute haben damals ihre Familie verloren. Du gehst fort, gehst zur Arbeit, du kommst heim, und was findest du vor? Schutt. Ja, ihr habt hier das richtige Wort dafür.
Le mot juste
. Morgens ein Haus, ein Zuhause, abends dann Schutt.«
    Titus hatte während des Sprechens die Faust geballt. Jetzt öffnete er sie in einer raschen Bewegung, wie ein Magier im Zirkus. Und mit einem bitteren, verkniffenen Lächeln erhob er sich, ging hinüber zum Fenster und blickte hinaus. Die Dämmerung war gekommen, und man konnte jenseits des Rasens und der Rosenbeete kaum mehr den See und die Umrisse der Bäume erkennen.
    »
Tramonto
nennen die Italiener das«, sagte er nachdenklich.
    »Was denn?«
    »Die Dämmerung, die Übergangszeit. Es bedeutet eigentlich ›jenseits der Berge‹. Und ich glaube, man könnte sagen, das ist, wo ich herkomme, Vanessa. Von jenseits der Berge. Mit nichts bei mir,als was ich vor den Flammen retten konnte. Meine Nichte Katya, die mehr gelitten hat als ich und die ich beschützen muss, egal, wie sehr sie mich dafür hasst. Außerdem Franz und Jana. Ja, Vanessa: Franz«, sagte Titus und sah sie betreten an. »Er gehört auch zu meiner Familie, und ich kann ihm nicht den Rücken zukehren, selbst wenn ich das wollte.«
    »Aber das habe ich gar nicht von dir verlangt«, sagte

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