Der König der Diamanten
Vanessa und hob protestierend die Hand. »Dein Leben gehört dir, da mische ich mich doch nicht ein.«
»Und genau das siehst du falsch, meine Liebe«, sagte Titus, indem er wieder zum Sofa kam und ihre rechte Hand an seine Lippen führte. »Ich möchte, dass du dich einmischst; ich möchte, dass du Teil meines Lebens bist. Nicht nur jetzt, sondern für immer.«
Vanessa sah in Titus’ strahlend blaue Augen und wusste, was er jetzt sagen würde. Sie fühlte sich wie ein Schwimmer, den die Gezeiten weit aufs hohe Meer hinaustragen. Sie war dabei, sich in einen Mann zu verlieben, den sie kaum kannte.
Den sie kaum kannte
– eine innere Stimme wiederholte diese Worte in ihrem Kopf und hielt sie fast schon gegen ihren Willen zurück.
»Ich bin verheiratet, Titus«, sagte sie sanft.
»Ja, und dein Mann hasst mich.«
»Das tut er nicht. Er hasst nur, wofür du stehst. Bill ist immer fair gewesen. Das ist etwas, auf das er stolz ist.«
»Nun, dann ist er ja vielleicht auch so fair, in die Scheidung einzuwilligen. Möchtest du ihn nicht fragen, Vanessa?«
»Ich weiß nicht«, sagte Vanessa in einiger Erregung. Es war ihr unangenehm, dass Titus über Bill sprach. Sie hatte nichts als die Wahrheit gesagt. Sie glaubte wirklich, dass ihr Gatte ein fairer Mensch war. Er mochte unfähig sein, seine Gefühle auszudrücken oder mit dem Tod seines Sohnes fertigzuwerden; er war zweifelsohne jemand, mit dem man nicht zusammenleben konnte; und doch war er von Grund auf anständig – um nicht zu sagen, gut. Es war keineswegs so, dass sie zu ihm zurückwollte. Das wusste siesicher. Aber Bill und sie hatten viel zusammen erlebt, waren einstmals sogar glücklich gewesen. Etwas in Vanessas Innerem sträubte sich, ja, bäumte sich auf bei dem Gedanken an ein Scheidungsgericht, an einen rechtsgültigen Schlussstrich unter das, was hinter ihnen lag.
Andererseits stand hier Titus und bot ihr ein neues Leben an, eines, das vollkommen anders war als das zurückgelassene. Er würde sich um sie kümmern, sie lieben, sie ermutigen, sich auszudrücken, so wie ihr Mann das nie gekonnt hatte. Er war reich, einflussreich, ein Mann von Welt. Es würde kein Sparen im Supermarkt geben, keine Angst mehr vor dem nächsten Kontoauszug. Und war ihre Ehe nicht Geschichte? Vor 18 Monaten hatte sie ihren Mann verlassen. Bedeuteten ihr die Unabhängigkeit und die kleine Wohnung wirklich mehr, als Mrs. Osman zu werden? Oder wollte sie einfach nicht mehr an das Glück glauben?
»Ich weiß nicht«, sagte sie leise. »Ich weiß nicht, Titus. Gib mir noch Zeit.«
»Aber natürlich«, sagte er. »Soviel du willst. Mir genügt vollauf, dass du darüber nachdenken willst. Die Liebe wird für alles andere sorgen.«
Titus erhob sich mit einem Lächeln. Er war gar nicht enttäuscht. Er hatte verfolgen können, wie der Sturm gegensätzlicher Gefühle über Vanessas Gesicht gezogen war, und dabei gespürt, wie nah er der Erfüllung seines Herzenswunsches war.
Kapitel Fünf
»Wozu brauchst du denn eine Kanone?«, fragte Eddie, als sie erneut ihre Runden im Gefängnishof drehten. Mehrere Stunden waren vergangen, seit sie beschlossen hatten zu fliehen, dennoch befanden sich beide immer noch in einem Zustand äußerster Erregung.
»Weil diese Missgeburt von Claes eine hatte«, sagte David. »An dem Abend, als ich Ethan Mendel nicht getötet habe. Du erinnerst dich doch.«
»Du willst also dorthin zurück?«
»Ja, aber nur kurz. Du musst mich nicht hinbringen, wenn du nicht willst.«
»Nein, nein, das mach ich schon. Das ist doch nicht weit von Oxford. Aber was du dann drinnen machst, ist deine Sache.«
Hier im inneren Hof befanden sie sich genau in der Mitte des Gefängniskomplexes, und die hohen Mauern der Seitengebäude um sie herum bildeten eine Barriere gegen den starken Wind, der durch die Stadt brauste. Dennoch hatten sie als Schutz vor der Kälte ihre Krägen hochgeschlagen, und um sich überhaupt verständigen zu können, mussten sie beim Sprechen die Köpfe zusammenstecken. Als sie ihre Runde zur Hälfte gegangen waren, blickte David hinauf zu dem Flügel des Hofes, in dem sich der Freizeitraum befand. Von so hoch oben herunterz gelangen, schien einfach unmöglich, aber wenigstens war das Dach einigermaßen flach. So bestand wenig Gefahr, von den Ziegeln abzurutschen.
Und Eddie hatte recht gehabt mit den Gerüsten. Just als sie zum nachmittäglichen Hofgang angetreten waren, hatte eine Gruppe von Handwerkern die letzten Stangen ins Gebäude getragen,
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