Der König der Diamanten
er sei noch wach gewesen, als er Swain im Korridor vor seinem Zimmer gehört hat, und die Türe sei offen gewesen – er kann also schlecht behaupten, er hätte das Telefon nicht gehört. Was er gesagt hat, ist, dass jedesmal, wenn er runterging, das Telefon zu klingeln aufgehört hätte, und so sei er wieder ins Bett gegangen. Und als ich ihn fragte, warum er uns denn nichts gesagt hätte von den Anrufen, antwortete dieser Mistkerl, wir hätten ihn ja nicht danach gefragt. Nicht zu fassen, oder? Und das ist längst nicht alles. Wie sich herausstellte, gab es diesen Sommer schon einmal Ärger in Blackwater Hall – ein Einbruchsversuch im Juli. Ja, genau«, sagte Trave und kommentierte damit Claytons verdutzten Gesichtsausdruck. »Eine weitere Information, die unsere Freunde dort draußen für sich behalten wollten. Harrison, einer der Streifenpolizisten, kam damit gestern zu mir. Es gab nachmittags einen Notruf von einer Frau mit starkem ausländischen Akzent – offensichtlich Jana –, deshalb fuhr Harrison hinaus, doch der Einbrecher war verschwunden. Claes sagte, er hätte ihn in Osmans Arbeitszimmer ertappt und ihm ein paar reingehauen, bevor der Einbrecher durchs Fenster abhaute. Der Einbrecher trug Handschuhe, anders als unserFreund Swain, und deshalb wurde die Sache ungelöst ad acta gelegt.«
»Hat er etwas mitgehen lassen?«
»Osman sagt nein.«
»Gibt es eine Personenbeschreibung?«
»Kräftig gebaut, eins achtzig, weiß, männlich, Anfang zwanzig, glattrasiert, mit kurzem, dunklem Haar, trug Jeans und dunkelblauen Jersey-Pullover – jeder könnte das sein.
Sie
könnten das sein, von der Kleidung mal abgesehen. Oh, und die Brille: die ist dageblieben. Sie fiel wohl bei dem Kampf runter. Harrison hat sie überprüfen lassen. Ist ein deutsches Modell, aber da der Einbrecher nicht gesprochen hat, haben wir nicht den leisesten Schimmer, wo er her sein könnte.«
»Er ist auf dem gleichen Weg rein wie Swain?«
»Ja, durchs Fenster des Arbeitszimmers, wenngleich es damals offen stand. Der Einbrecher dachte wohl, es sei niemand daheim, weil Osmans Bentley zur Inspektion weg war und das Tor aus irgendeinem Grund offen stand. Ich gebe zu: Das Haus ist abgelegen und ein recht einladendes Ziel, deshalb hat der Einbruch wahrscheinlich gar nichts mit dem Mord zu tun. Trotzdem interessant, dass da noch etwas nicht richtig zusammenpasst, so wie dieser Zettel, von dem ich Ihnen erzählt habe – der, den Swain gekriegt hat vor dem ersten Mord. Hier, ich habe mir ein Duplikat gemacht«, sagte Trave, indem er die oberste Schublade seines Schreibtisches öffnete und Clayton ein Blatt Papier reichte. »Das Original ist in London, sicher verwahrt mit den anderen Beweisstücken, aber das hier ist das gleiche Schreibpapier. Und es ist mit Sicherheit Ethan Mendel, der das geschrieben hat. Wir haben es verglichen.«
Das dünne, hellblaue Blatt Papier maß etwa zwölf auf zehn Zentimeter und sah aus, als stamme es von einem unlinierten Briefblock in Standardgröße, nur dass fast das ganze obere Drittel fehlte – abgerissen von rechts oben nach links unten. Das Papier war zerknittert, so als hätte man es oft in der Hand gehabt, und dieTinte war schon ein wenig verblasst. Dennoch konnte Clayton die Handschrift von Trave erkennen, auch wenn die Buchstaben schräg standen, um die Vorlage zu imitieren.
Wir müssen reden.
Treffpunkt am Bootshaus um fünf.
Ethan.
Clayton las den Zettel zweimal und drehte ihn dann um, nur um festzustellen, dass die Rückseite leer war. Mit einem verwirrten Gesichtsausdruck gab er ihn Trave zurück.
»Und? Was sagen Sie?«, fragte Trave.
»In Eile geschrieben …«
»Warum glauben Sie das?«
»Die Schrift wirkt hingekritzelt. Und das Blatt ist abgerissen …«
»Stimmt. Aber schauen Sie mal genau hin: Das Blatt ist vom oberen Rand des Blocks abgerissen und nicht von der Mitte, wie man es macht, wenn man nur schnell mal einen Zettel braucht. Es stammt von einem Block Marke ›Basildon Bond‹ – von einem wie dem hier«, sagte Trave und zog einen unbenutzten Schreibblock aus der Schublade. »Und sehen Sie, jedes Blatt lässt sich ganz leicht oben abtrennen, eins nach dem anderen. Es ist schwieriger, ein Blatt zu zerreißen, als es herauszureißen. Probieren Sie selbst.«
Clayton musste das bestätigen. Die Perforation machte es so gut wie unmöglich, ein Stück abzureißen – sobald er nur ein bisschen daran zog, hatte er das Blatt schon ganz in der Hand. Um ein Stück wie das
Weitere Kostenlose Bücher