Der König der Diamanten
dreinblickenden Dame, die allgemein als »der Drache« bekannt war und darauf bestand, dass ihr Mann abends um sechs Uhr zu Hause war und freitags schon um halb sechs. Creswell war immer ein gründlicher, wenngleich wenig einfallsreicher Kriminalbeamter gewesen. Jetzt war er ein ausgezeichneter Abteilungsleiter, der seinen Mitarbeitern vertraute, sie ihre Arbeit machen ließ und sich nicht einmischte, außer es war notwendig. Und nun, da Trave einmal kurz Zeit zum Nachdenken hatte, tat es ihm leid, dass Creswell bald in Pension ging. Es war wenig wahrscheinlich, dass er je einen angenehmeren, hilfsbereiteren Chef kriegen würde.
»Verzeihen Sie, Bill«, sagte Creswell, indem er aufblickte. »Papierkram, nichts als Papierkram – das scheint in meinem Leben mittlerweile alles zu sein. Wie gern denke ich an meine Zeit als Ermittler zurück – draußen unterwegs sein, unangenehme Fragen stellen, komplizierte Fälle lösen.«
Trave lächelte. Es war wenig glaubhaft, dass der Superintendent wirklich in sein altes Leben zurückkehren und sich die Hände im Umgang mit Verbrechern und Tagedieben schmutzig machen wollte. Doch die freundliche Anteilnahme, die sich hinter den Worten seines Chefs verbarg, wusste er wohl zu schätzen.
»Sie wollten mich sprechen?«, fragte er.
»Ja. Diese Osman-Sache. Wie ist da der Stand der Ermittlung?«
»Noch keine Ergebnisse, Sir. Tut mir leid. Aber wir sind dran. Wir gehen jedem Hinweis nach und haben Swains Foto zur Fahndung rausgegeben. Es sollte nicht allzu lange dauern, bis wir ihn schnappen.«
»Wo, denken Sie, versteckt er sich?«
»Mit Earle ist er nicht zusammen, denn er war allein, als er zu seiner Mutter ging. Ich vermute, er ist irgendwo in der Nähe. Wir haben den Wagen seines Stiefvaters beim Bahnhof gefunden, aberer hat ja auch versucht, uns mit dem Zug nach London reinzulegen am Morgen nach dem Mord. Ich denke nicht, dass er es bei diesem Presseaufkommen noch riskiert, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Er ist ja nicht blöd.«
»Das vielleicht nicht, aber er ist definitiv gefährlich – fuchtelt mit der Waffe herum und droht damit, Leute zu erschießen. In der Zentrale rufen pausenlos ältere Ladys an, die Angst haben, dass er sich in ihrem Gartenhäuschen versteckt hat. Unfassbar, dass zwei von der Sorte einfach so entkommen konnten. Was glaubt dieser Direktor eigentlich, was für eine Art Institution er da betreibt? Oxford ist doch ein Hochsicherheitsgefängnis!«
»Sie hatten Hilfe, Sir. In welchem Ausmaß, weiß ich nicht, aber auf jeden Fall warf jemand Strickleitern über die Außenmauer, und es gab auch ein Fluchtauto. Personenbeschreibungen fehlen, denn es war dunkel, und sie waren zu schnell. Aber Earle hatte etliche Besuche in den vergangenen Monaten, und es kann sein, dass da eine Verbindung besteht. Das Gefängnis sagt mir, der Besucher war immer ein und derselbe Mann. Er zeigte bei der Ausweiskontrolle am Eingang immer seinen Führerschein. So wie es aussieht, handelt es sich um einen gewissen MacMillan.«
»Bitte? So wie der Premierminister?«, fragte Creswell und lachte auf.
»Ja«, sagte Trave mit einem Grinsen. »Wobei der hier heißt Robert MacMillan und nicht Harold. Und seine Adresse war in Headington. Aber jetzt – Überraschung: Einen Robert MacMillan hat es dort nie gegeben, und einen Führerschein hat er auch nie beantragt.«
»Aber sein Aussehen? Können die Ihnen da nicht weiterhelfen?«
»Nicht wirklich. Er war ja nicht der einzige Besucher. Sie können nicht mehr sagen als: mittelgroß, mitteldick, Alter irgendwas zwischen dreißig und fünfzig, schwarzer Bart. Immerhin: bei dem Bart sind sie sich sicher, aber der kann natürlich auch falsch gewesen sein.«
»So wie der Führerschein.« Creswell machte eine Pause und tippte mit seinem Füller auf den Schreibtisch. Er sah aus, als fühlte er sich unwohl, als wolle er etwas sagen, für das er nicht die richtigen Worte fand. Trave war überrascht. Creswell hatte eigentlich eine direkte, eindeutige Art – das war es, was er an seinem Chef immer gemocht hatte.
»Bill, es wäre vielleicht besser, Sie hätten bei diesem Fall ein wenig Unterstützung«, sagte er dann fast schon zaghaft, ohne den Blick von seinem Füller zu wenden. »Inspector Macrae …«
»Hugh Macrae und ich arbeiten nicht sonderlich gut zusammen, Sir«, fiel Trave ihm ins Wort. »Ich mag seine Methoden nicht, und er nicht meine.« Trave war kaum überrascht, dass Macrae ihm ins Handwerk pfuschen wollte. Er war
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