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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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Montagmorgen in Macraes Büro gerufen wurde.
    Die letzten beiden Nächte hatte er so gut wie nicht geschlafen. Sein ausgelaugtes Gehirn war wie ein kaputter Filmprojektor, den er einfach nicht abstellen konnte und der ein ums andere Mal wiederholte, wie sein Chef sich im Hof von Blackwater Hall selbst zerlegte. Und jede Szene war schlimmer als die vorige. Wie Trave Claes anschrie. Wie Osman dazwischenging. Wie Trave zuschlug, nicht traf und wie ein Schuljunge auf dem Rücken landete, als Clayton ihn zurückzog. Wie Traves Frau verächtlich oder sogar angeekelt dreinblickte. Und wie Trave schließlich zum Auto stürmte, bevor er dann davonraste und Clayton wie einen Idioten stehen ließ.
    Titus Osman musste man zugutehalten, dass er sich nachher viel angenehmer verhalten hatte als erwartet. Er hatte sich Mühe gegeben, alle zu beruhigen, hatte Clayton überschwänglich für sein Eingreifen gedankt und hatte sogar Mitgefühl für Trave gezeigt und ihn als »armen Inspector« bezeichnet. Zu guter Letzt hatte er darauf bestanden, dass Claes Clayton zurück nach Oxford brachte. Osman hatte ihm die hintere Tür des Bentley geöffnet, und so saß er dann auf der Rückbank hinter Claes und sah aus wie ein Millionär, der sich durch die Stadt gondeln lässt, bis sie schließlich das Revier erreichten und er wieder ein normalsterblicher Detective Constable war.
    Trave war gerade bei Creswell, als Clayton ankam. Im Gegensatz zu Macrae hatte er dessen Abgang nach der Unterredung mit dem Superintendent verpasst. Doch es hatte nicht lange gedauert, bis die Gerüchteküche auf dem Revier heiß gelaufen war, und am Ende des Tages hatte so gut wie jeder gewusst, dass Trave nichtmehr den Blackwater-Fall leitete und an seine Stelle Macrae gerückt war. Und dass Clayton einen neuen Vorgesetzten hatte, ob es ihm schmeckte oder nicht.
    »Guten Morgen, mein Bester«, sagte Macrae und winkte ihn zu einem Stuhl an dem leeren Schreibtisch gegenüber seinem eigenen. »Das ist jetzt Ihr Platz. Er hat Jonah gehört, aber der war so freundlich, ihn für Sie freizumachen, nicht wahr, Jonah?«
    Police Constable Joseph Wale saß schweigend auf einem Stuhl in der Ecke und nickte. Er war ein großer Mann, und der Stuhl schien zu klein für ihn zu sein. Clayton fragte sich, ob er womöglich unter Wales Gewicht zusammenbrechen würde, sollte der allzu lange auf ihm sitzen bleiben. Wale war relativ neu auf dem Revier. Es hieß, er sei ein nicht sonderlich erfolgreicher Profi-Boxer in London gewesen und dort schließlich in den Polizeidienst getreten, nachdem er ein weiteres Mal k.o. geschlagen worden war und ihn niemand mehr in den Ring schicken wollte. Es stellte sich schnell heraus, dass Wale ein Einzelgänger war. Soweit Clayton sehen konnte, hatte er seit Dienstbeginn keine Freunde gewonnen – außer Macrae, der sofort und unerklärlicherweise Gefallen an ihm gefunden hatte, ihm den Spitznamen Jonah gab (was Wale zur Verblüffung aller hinnahm) und ihn zu seinem inoffiziellen Assistenten machte.
    »Jonah würde sicher zugeben, dass der Umgang mit dem ganzen Papierkram nicht seine stärkste Seite ist, nicht wahr, Jonah?«, fragte Macrae und grinste hinüber Richtung Wale, der wie zuvor nur kurz nickte. Clayton kam es so vor, als hätte er Macrae noch nie so gutgelaunt erlebt. Eine leuchtend weiße Blume steckte im Knopfloch seines pechschwarzen Jacketts, und Clayton rätselte, was für eine das sein könnte: Sie sah aus wie eine Kreuzung aus einer Rose und einem Schneeglöckchen.
    »Also wird die Buchführung eher Ihr Bereich sein, Constable«, fuhr Macrae fort, indem er sich Clayton zuwandte. »Aber keine Sorge, Jonah hat jede Menge anderer Begabungen. Manche davonwürde man gar nicht vermuten. Ich denke, Sie werden ihn als wertvolles Mitglied unseres Teams schätzen lernen.«
    »Dessen bin ich mir sicher«, sagte Clayton, ohne auch nur die leiseste Ahnung zu haben, wovon Macrae redete.
    »Wunderbar. Und nun, bevor wir beginnen, Constable, möchte ich Sie warnen. Wenn es nach mir ginge, hätte Bill Trave nach dem, was er sich vorgestern geleistet hat, vom Dienst suspendiert werden müssen. Er hat die gesamte Polizei Oxfords in Verruf gebracht.« Macrae machte eine Pause und sah Clayton direkt in die Augen. Dieser errötete und war schon drauf und dran, seinen Chef zu verteidigen, für den er plötzlich ein tiefes Gefühl der Loyalität empfand, doch dann besann er sich und schluckte seine Antwort hinunter. Macrae beobachtete Clayton aufmerksam, und

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