Der König Der Komödianten: Historischer Roman
Akt zu ersinnen.
Bei dieser Gelegenheit erinnerte ich mich wieder an Baldassarres Vorschlag, Leandro nicht Rosalinda, sondern Aurelia lieben zu lassen, und mit einem Mal fand ich die Idee gar nicht mehr so übel. Figuren mussten sich entwickeln, und dazu bedurfte es sowohl innerer wie auch äußerer Wandlung. Die Wandlung der Figuren machte ein Stück erst spannend. Leandro, der sich zunächst einbildet, Rosalinda zu lieben, stellt im Laufe des zweiten Aktes fest, dass seine eigentliche Zuneigung Aurelia gilt.
Aurelia liebt Leandro ebenfalls, aber wegen seiner anfänglichen Hinwendung zu Rosalinda ist sie wütend auf ihn und tut daher so, als ziehe sie Flavio vor. Flavio wiederum liebt Rosalinda, macht aber bereitwillig bei Aurelias Scharade mit, um Rosalinda eifersüchtig zu machen.
Damit hatte ich nicht nur den zweiten Akt entscheidendvorangetrieben, sondern auch bereits eine Menge Potenzial für den dritten Akt beisammen! Angeregt spann ich in Gedanken die Handlung weiter und hielt mich nach einer Weile für nicht mehr ganz so unfähig wie zuvor. Mein schöpferischer Höhenflug reichte sogar aus, ein Sonett zu dichten, das Leandro folgerichtig nun nicht länger Rosalinda, sondern Aurelia zu Ehren darbieten würde.
Aurelias Antlitz bringt mein Herz zum Singen,
Kaum seh ich sie, gibt es kein Halten mehr.
Auf Knien sink ich hin und hoffe sehr,
Mit meiner Liebe zu ihr vorzudringen.
Doch keine Worte auf der Dichtung Schwingen,
Kein Dolch, kein Schwert, kein knallendes Gewehr
Erweichen sie und wecken ihr Begehr –
Da muss ich ihr wohl and ’re Gaben bringen.
Mit Schmuck und Seide könnt ich sie betören,
Nebst Sammet, Gold und bunten Edelsteinen
Könnt ich mein Herz vor ihre Füße legen.
Doch dieses Werben wird sie nicht erhören.
Ein neuer Plan macht eher sie zur meinen:
Mit Küssen will ich sie dazu bewegen!
Beim Dichten der letzten Zeile wurde mir warm, und ich fragte mich, ob sie nicht zu gewagt war. Aber selbstverständlich mussten die Innamorati sich zu guter Letzt küssend in die Arme sinken, wie sonst sollten sie ihre überströmende Liebe zum Ausdruck bringen?
Außerdem waren Bühnenküsse ohne echte Leidenschaft, wie ich von Cipriano wusste. Als Lelio hatte er Caterina am Ende der Lustigen Brautwerbung zur Freude aller Zuschauer aufden Mund geküsst – in Wahrheit nur auf den Mundwinkel, aber es hatte wie ein echter Kuss ausgesehen –, und nicht einmal der notorisch eifersüchtige Bernardo hatte daran Anstoß genommen.
Auf ähnliche Weise würde Bernardo alias Leandro in meinem Stück Aurelia küssen, das war folgerichtig und gehörte nun einmal dazu.
Doch dann wurde mir klar, dass er in Wahrheit Elena küssen müsste, und augenblicklich fand ich die ganze Idee weit weniger praktikabel als vorher.
»Du siehst aus, als hättest du Bauchschmerzen«, sagte Rodolfo. »Du wirst mir doch nicht auch noch seekrank werden?«
Als ich verneinte, schlug er vor, dass ich noch einmal in die Rolle des Bootsmanns schlüpfte. Er überließ mir Ruderpinne und Segel und korrigierte nur hin und wieder den Kurs, bis sich vor uns die Silhouette Venedigs erhob. Die vielen Türme inmitten des dichten Häusermeers waren auch von Norden aus betrachtet ein imposanter Anblick, und obwohl ich erst seit so kurzer Zeit in der Lagune weilte, erfasste mich alberner Stolz, als ich die einzigartige Pracht vor mir sah. Hier war ich geboren, ein echter Venezianer, sogar einer von adligem Geblüt, und es war mein angestammtes Recht, diese Stadt meine Heimat zu nennen! Dass ich mit geradezu kindischer Unvernunft mein Dorf und unser Gut in der Einöde vermisste, wollte nichts besagen. Ich musste einfach nur noch eine Weile hierbleiben, dann würde sich das Heimatgefühl von ganz allein einstellen.
»Wo wart ihr?«, wollte Bernardo wissen. Er saß mit Cipriano in der Küche der Ca’ Contarini und verleibte sich die Reste der Mahlzeit ein, die Franceschina am frühen Morgen vor unserem Aufbruch zubereitet hatte.
»Wir haben das Jonglieren mit brennenden Fackeln geübt.«
Bernardo musterte Franceschina missgestimmt. »Dein Gesicht ist ganz rot.«
»Rosig«, korrigierte Rodolfo, während er hinter mir die Küche betrat. »Die Farbe der guten Laune, der Frische und des Wohlbefindens.«
Bernardo ließ den Löffel neben seinen Teller fallen. »Warum habt ihr so lange gebraucht?«, fragte er vorwurfsvoll. »Wir hatten Hunger, und es gab kein Mittagsmahl!«
»Ich hatte euch gestern Abend schon gesagt, dass wir heute
Weitere Kostenlose Bücher