Der König Der Komödianten: Historischer Roman
betraten, ob und wie sie sich während der Dialoge bewegten und wie lange es dauerte, eine Szene aufzuführen. Spezielle Einzelheiten des Auftritts, etwa komische Einlagen oder gesangliche Darbietungen, musste jeder nach und nach für sich einstudieren. »Aurelia und Leandro sollten im zweiten Akt noch eine zusätzliche gemeinsame Szene bekommen«, sagte Baldassarre. »Davon abgesehen sind alle nötigen dramatischen Verwicklungen drin. Eine Krise im Kerker, das steht für Verzweiflung. Der Giftanschlag des Dottore steht für Bedrohung. Der Kampf mit dem maskierten Feind für Tapferkeit. Die Begegnung von Leandro und Flavio für das große Geheimnis. Nur die Liebe fehlt noch.«
»Vielleicht kann ich noch eine Szene für Aurelia und Leandro schreiben.« Zögernd fügte ich hinzu: »Sollen sie sich da schon küssen?« Ich merkte, dass Elena mich beobachtete, wich aber beharrlich ihren Blicken aus.
Baldassarre nickte. »Küssen wäre nicht schlecht. Dann könnten sie im letzten Akt noch einmal durch Intrigen getrennt werden, bevor sie am Ende für immer zusammenfinden.«
Caterina mischte sich ein. »Ihr alle nehmt Leandro und Aurelia viel zu wichtig! Haben wir nicht noch ein zweites Paar? Rosalinda und Flavio sind als Innamorati doch viel bemerkenswerter! Und was die Liebe im zweiten Akt angeht: Immerhin habe ich eine Kuss-Szene mit Flavio, der mich schon von Beginn an liebt. Als Rosalinda, meine ich. Damit ist der Liebe im zweiten Akt durchaus Genüge getan.« Sie deutete auf ihren Gatten. »Es ist ohnehin immer nur Bernardo, der in dem Stück den Verliebten gibt, ob als Leandro oder Flavio. Wenn er es bei mir tut, sieht es sowieso echter aus. Die Rosalinda wird den Zuschauern zeigen, was wahre Leidenschaft ist.«
»Wenn sie zufällig während der Vorstellung anwesend ist«, murmelte Cipriano.
Caterina hörte es trotzdem. »Wenn nicht, kannst du ja als Rosalinda Bernardo küssen«, spottete sie.
Henry meldete sich zu Wort und brach eine Lanze für Cipriano. »Cipriano wäre als Rosalinda keine zweite Wahl. Die Rolle ist ihm vielmehr auf den Leib geschrieben!«
»Ich weiß nicht, ob ich ihn küssen kann«, warf Bernardo ein.
»Wir sollten auch über die Zanni reden«, sagte Rodolfo. »Colombina und der Capitano könnten sich im zweiten Akt durchaus bereits näherkommen.«
»Hm, ich könnte noch einen Monolog für den Capitano schreiben«, meinte ich.
»Gute Idee«, sagte Rodolfo. »Ich werde ein Lied dafür einstudieren.«
»Das halte ich für maßlos übertrieben«, widersprach Bernardo. »Davon abgesehen ist diese Liebeskonstellation sowieso völlig unglaubhaft. Was soll Colombina denn bitte sehr amCapitano finden? Sie ist die sanfte, friedliebende Taube, das besagt schon ihr Name, und er ist ein hässlicher, säbelrasselnder Narr!«
»Colombina kann selbst entscheiden, was auch immer sie an wem auch immer findet«, erklärte Franceschina.
»Wenn es sie nicht stört, dass das Publikum sich darüber totlacht«, höhnte Bernardo.
Franceschina blickte ihn unbewegt an. »Lachen ist gesund. Besonders heilsam ist es, wenn einem vorher zum Heulen war.«
Baldassarre klatschte in die Hände. »Ihr Lieben, genug gefachsimpelt. Lasst uns beginnen!«
Die Probe stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Obwohl Henry laufend anhand des Canovaccio erklärte, was als Nächstes dran war und immer wieder einzelne Passagen laut und deutlich vorlas, klappte es hinten und vorne nicht. Die improvisierten Texte waren oft kaum mehr als Satzfetzen und hastige Phrasen. Es wurde geleiert, gestottert, geflucht, und zwischendurch auch auf Anweisung Baldassarres dies und das widerwillig wiederholt, aber von Szene zu Szene klang es holpriger. Die Auftritte und Abgänge kamen entweder zu früh oder zu spät, und die Lazzi wirkten gezwungen statt komisch.
An einer Stelle ertappte ich Henry beim Gähnen.
Die Unzufriedenheit griff allenthalben um sich, und zwischen den Szenen ging das Genörgel weiter, sei es an der grundlegenden Ausgestaltung des Zusammenspiels oder der Art, wie einzelne Schauspieler ihren jeweiligen Part darboten, oder genauer: dabei versagten.
Jeder bekam sein Fett weg, und die Stimmung wurde immer schlechter, bis die ganze Probe nur noch eine einzige Katastrophe war.
Ich führte das Debakel auf mein Versagen als Autor zurück –was hätte sonst der Grund sein sollen? Schließlich hatte Cipriano mir sehr nachvollziehbar erklärt, welche Probleme zweite Akte mit sich brachten, und das sah ich nun am lebendigen
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