Der König der Lügen
zuckte die Achseln.
»Na, Scheiße«, sagte ich.
»Genau.« Hank startete den Motor. »Das habe ich auch gedacht.« Er legte den Gang ein. »Ich darf das County nicht verlassen«, sagte ich. »Das gehört zu den üblichen Kautionsbedingungen.«
Er brachte den Hebel der Automatik zurück in Parkstellung und sah mich an. »Sie müssen's wissen, Work. Ich kann Sie nach Hause fahren und mich allein drum kümmern. Kein Problem.«
Ich wollte nicht, dass die Richterin ihre Freundlichkeit bereute, aber das hier war zu wichtig, um mich an die Regeln zu halten. Regeln, zu diesem Schluss war ich erst vor kurzem gekommen, waren nicht unbedingt gut. Ich hatte mich mein Leben lang an sie gehalten, und mein Leben sah im Moment nicht besonders hübsch aus. »Scheiß drauf. Fahren wir.«
»Braver Junge.«
»Aber auf dem Weg zur Stadt hinaus müssen wir zweimal anhalten.«
»Ist Ihr Leben.« Hank fuhr an. »Ich bin bloß der Fahrer.«
SIEBENUNDZWANZIG
E s war nicht weit bis zu Clarence Hamblys Kanzlei. Wie die meisten Anwälte in der Stadt arbeitete er in der Nähe des Gerichts-gebäudes. Hank fuhr auf den Parkplatz, eine beengte Fläche mit Backsteinakzenten, die den rissigen Asphalt weniger streng aussehen lassen sollten. Das Haus selbst war mehr als zweihundert Jahre alt, ein klassischer Bau aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg — zweistöckig, vier Räume unten, vier oben —, mit einem großen Anbau an der Rückseite, der von der Straße aus nicht zu sehen war.
»Und was machen wir hier?«, fragte Hank.
»Ich muss ein paar Fragen stellen. Es dauert nicht lange.«
Im Flur drängten sich Leute, deren Delikte Hambly für ein paar Dollar die Stunde oder gegen ein Pauschalhonorar an irgendeinen jungen Mitarbeiter abschieben würde, je nachdem, wie die Anklage lautete und wie wahrscheinlich es war, dass man einen Deal würde abschließen können. Er selbst hatte einen Hintereingang und eine private Treppe für seine erlauchteren Mandanten. Sie führte geradewegs hinauf zu seiner persönlichen Assistentin, die sein Büro bewachte. Unangemeldet würde ich niemals an ihr vorbeikommen, das wusste ich; deshalb sparte ich mir die Mühe. Stattdessen schob ich mich durch das Gedränge in der Eingangsdiele und legte die Hände auf die blanke Kirschholztheke. Eine von Hamblys Gehilfinnen, eine ältere Frau, fragte, ob sie mir behilflich sein könne. Dann wich sie einen Schritt zurück, als sie aufblickte und mich erkannte.
»Ich möchte Clarence sprechen«, sagte ich.
»Das geht nicht«, antwortete sie.
»Ich möchte ihn sofort sprechen. Und ich bin gern bereit, meine Stimme zu heben. Teilen Sie ihm also einfach mit, dass ich hier bin.«
Sie taxierte mich von oben bis unten und dachte darüber nach. Ich wusste, dass sie es schon mit Hunderten von frustrierten und wütenden Mandanten zu tun gehabt hatte. Sie musste sich einen Eindruck von mir verschaffen. Nach einigen Augenblicken griff sie zum Telefon und teilte Hamblys Assistentin mit, dass ich ihn sprechen wolle. Es dauerte eine gute Minute.
»Sie können hinaufgehen«, sagte sie.
Hambly erwartete mich in der Tür seines Büros und trat zur Seite, um mich eintreten zu lassen. Der Raum war lang gestreckt und elegant, und durch die Fenster sah man das Gerichtsgebäude auf der anderen Seite der Main Street. Er lud mich nicht ein, Platz zu nehmen, sondern musterte mich über seine Paisley-Fliege hinweg.
»Die meisten Leute vereinbaren einen Termin«, stellte er fest.
»Es dauert nicht lange.« Ich schloss die Tür, trat einen Schritt auf ihn zu und blieb breitbeinig vor ihm stehen. »Ich möchte wissen, wie eine Kopie des Testaments meines Vaters in mein Haus gelangen konnte.«
»Ich wusste nicht, dass das der Fall ist.«
»Wer hatte eine Kopie davon?«
»Diese Unterredung ist unzulässig«, sagte Hambly.
»Es ist eine einfache Frage.«
»Also gut. Ich habe Ihrem Vater zwei Originalausfertigungen gegeben und eine hierbehalten. Wenn er Kopien davon gemacht hat, war das seine Sache. Ich habe keine Ahnung, wie eine davon in Ihr Haus kommen konnte.«
»Sie haben die gesehen, die im Besitz der Polizei ist?«
»Ja, aber ich kann nicht mit Sicherheit sagen, dass es die ist, die in Ihrem Haus gefunden wurde. Man hat mich gebeten, das Schriftstück zu identifizieren, und das habe ich getan.«
Ich ließ nicht locker. »Aber es ist eine exakte Kopie. Das haben Sie der Polizei bestätigt.«
»Ja«, räumte er ein.
»Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Ezra die Absicht hatte,
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