Der König der Lügen
seine Hände und den schweren Schraubenschlüssel, den er festhielt. Er lehnte in besitzergreifender Haltung an dem hohen Profilreifen und musterte mich, als ich über den harten Lehmboden auf ihn zukam. Er sah größer aus als in meiner Erinnerung; er war sehr muskulös und deprimierend jung, aber es war eindeutig derselbe Mann.
»Das ist nah genug«, sagte er. Ich blieb drei Schritt vor ihm stehen und hob die Hände.
»Ich will keinen Ärger«, sagte ich. »Ich will nur mit Vanessa reden.«
Sein Mund öffnete sich zu einer Frage, die er nicht stellte. Er legte den Schraubenschlüssel auf die Motorhaube des Traktors. Dann wischte er sich die Hände an der Hose ab und kam mit besorgtem Gesicht auf mich zu.
»Ich dachte, sie ist bei Ihnen«, sagte er.
Ich ließ die Hände sinken und kam mir töricht vor. Ich mochte ihn neulich abends niedergeschlagen haben, aber es war klar, dass er nicht eingeschüchtert war.
»Wovon reden Sie?«
Er blieb stehen und überragte mich, schaute mir ins Gesicht, als suchte er dort etwas Spezielles, und warf dann einen Blick hinüber zum Haus. Ich schaute ebenfalls hinüber und hoffte, Vanessa zu sehen, aber das Haus war still und dunkel.
»Sie ist gestern Abend nicht nach Hause gekommen.«
»Was?«
»Und ich habe sie heute den ganzen Tag nicht gesehen.«
Ein wohlvertrauter Abgrund tat sich in meinem Magen auf. Etwas regte sich in den Augen des jungen Mannes, und ich wusste, was es war. Ich trat näher.
»Fangen Sie ganz von vorn an«, sagte ich. »Erzählen Sie mir alles.«
Er nickte und schluckte heftig. Er wollte es mir erzählen. Das, was da in seinen Augen war, zwang ihn dazu. Es war Angst. Der junge Mann hatte Angst, und ich plötzlich auch.
ACHTUNDZWANZIG
» W as sollte denn das?« Wir waren auf der Interstate, ungefähr zehn Minuten weit nördlich der Stadt. Hank hatte schon mindestens fünfmal zum Sprechen angesetzt, nur schien ihn etwas in meinem Gesicht immer wieder gebremst zu haben. Ich wollte ihm nicht antworten. Ich wollte die Worte nicht aussprechen, tat es aber aus irgendeinem Grund doch. Vielleicht hoffte ich, sie würden nicht so schlimm klingen, wenn ich sie laut ausspräche.
»Jemand, an dem mir sehr viel liegt, ist verschwunden.«
»Jemand Wichtiges? Wen meinen ... Ach, verstehe. Eine Freundin?«
»Mehr als das«, sagte ich leise.
»Das Meer ist voller Fische, Work. Glauben Sie mit«
Ich drehte das Fenster herunter; ich wollte saubere Luft riechen. Der Wind schlug mir ins Gesicht, und einen Moment lang konnte ich nicht atmen.
»Sie irren sich, Hank«, sagte ich schließlich.
»Dann schwimmen wir in verschiedenen Gewässern.«
Nicht schwimmen, dachte ich. Ertrinken. Und einen Augenblick lang war mir so zumute.
»Und wer war der Typ?« Ich antwortete nicht, und Hank sah mich fragend an. »Der Typ vorhin?«
Ich lehnte mich zurück. Nach dem Bettzeug im Gefängnis war die Kopfstütze weich und duftete lieblich. »Fahren Sie einfach, Hank. Ist Ihnen das recht? Ich muss nachdenken.«
Seine Worte kamen aus weiter Ferne. »Klar, Mann. Wie Sie wollen. Ist ein weiter Weg.«
Er hatte recht. Es war ein weiter Weg.
Aber als es dunkel wurde, kamen wir auf dem vollbesetzten Parkplatz vor dem Dorothea Dix Hospital an. Wir sprachen erst wieder, als er den Motor abgestellt hatte. Ich spähte durch die Frontscheibe nach oben. Von allen trostlosen Häusern dieser Welt, dachte ich, musste dieses die düstersten Geheimnisse bergen. Ich dachte an Irrenanstalten, an Schreie, die in Erbrochenem erstickten. »Heulendes Elend, sagt man ja wohl«, stellte ich fest.
»Ist nicht so schlimm, wie Sie vielleicht glauben«, sagte Hank. »Sie waren schon mal hier?«
»Ein- oder zweimal.« Er führte es nicht weiter aus.
»Und?«
»Nie in den geschlossenen Abteilungen. Aber der Rest ist wie jedes andere Krankenhaus auch.«
Ich blickte mich auf dem Gelände um. »Abgesehen von dem Stacheldraht.«
»Der ist da, ja.«
»Und jetzt?«, fragte ich.
»Wie viel Geld haben Sie dabei?«
Instinktiv warf ich einen Blick in meine Brieftasche, ohne daran zu denken, dass ich das Geld gezählt hatte, als ich es zurückbekommen hatte. »Dreihundertsiebzig Dollar.«
»Geben Sie her.« Er sortierte die drei Hunderter heraus und gab mir den Rest zurück. »Das dürfte genügen.« Er faltete die Scheine zusammen und schob sie in die Tasche seiner Jeans. »Sind Sie bereit?«, fragte er.
»Wie ich es nur jemals sein werde«, sagte ich, und ich meinte es ernst. Er boxte mich leicht auf
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