Der König der Lügen
traurig. Er hatte einen warmherzigen Blick. Immer schon.
»Ihr Vater war das größte Arschloch, das ich jemals kennengelernt habe.« Er zog an seiner Zigarre, als hätte er eine Bemerkung über das Wetter gemacht. Ich schwieg, und nach ein paar Sekunden fuhr der alte Mann fort. »Er war ein egozentrischer Bastard, der die ganze verdammte Welt besitzen wollte, doch das wissen Sie.«
»Ja.« Ich räusperte mich. »Das weiß ich.«
»Es war leicht, ihn zu hassen, Ihren Vater. Aber er schaute Ihnen in die Augen, während er Ihnen das Messer in die Brust stieß. Wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Nein.«
»Er war ehrlich mit seiner Habgier. Andere ehrliche Leute konnten das sehen.«
»Und?«
»Bin ich schon fertig?«, fragte er. Ich antwortete nicht. »Also lassen Sie mich ausreden. Da war auch noch Jean. Es hat mir nie gefallen, wie er mit Ihrer Schwester umgegangen ist. Ich fand, da wurde ein tadelloser Verstand vergeudet. Aber wir können uns unsere Eltern nicht aussuchen, und das war ihr Pech. Ich habe auch sie beobachtet, und jetzt, da Ezra tot ist, wird es ihr wahrscheinlich gut gehen.«
Unwillkürlich lachte ich rau auf. »Wie genau haben Sie sie denn beobachtet?« Jean, dachte ich, geht es überhaupt nicht gut. Ganz und gar nicht.
Er beugte sich vor, und ein scharfes Funkeln trat in seine Augen. »Genauer als Sie, darauf wette ich«, sagte er, und die Wahrheit tat weh. »Ich mache mir keine Sorgen um sie. Beunruhigt bin ich Ihretwegen.«
»Meinetwegen?«
»Ja, und jetzt halten Sie die Klappe. Ich bin hier herausgekommen, um Ihnen etwas zu sagen. Also passen Sie auf. Ihr Vater war ein großer Mann, mit großen Visionen und großen Träumen. Aber Sie, Work, sind ein besserer Mann.«
Tränen brannten in meinen Augen, und ich wünschte mir inbrünstig, dieser Mann wäre mein Vater gewesen. In seinem Gesicht und in den Bewegungen seiner knotigen Hände lag unverblümte Ehrlichkeit, und einen Augenblick lang glaubte ich ihm.
»Sie sind besser, weil Sie nicht aus unbedeutenden Gründen bedeutende Dinge begehren. Sie sind besser, weil Ihnen an den richtigen Dingen etwas liegt — an Ihren Freunden und Ihrer Familie. In dieser Hinsicht gleichen Sie Ihrer Mutter.« Er schwieg kurz und nickte. »Ersticken Sie nicht an Ezras Bürde, Work. Ich bin dreiundachtzig — alt genug, um das eine oder andere zu wissen, und das Wichtigste ist: Das Leben ist verdammt kurz. Finden Sie heraus, was Sie wollen. Seien Sie Ihr eigener Herr, und es wird Ihnen umso besser gehen.«
Langsam stand er auf, und ich hörte seine Gelenke knacken. Eis klirrte im Glas, als er seinen Whiskey austrank.
»Begraben Sie Ihren alten Herrn, Work, und wenn Sie so weit sind, würden wir Sie gern mal bei uns zum Essen sehen. Ich kannte Ihre Mutter gut, möge sie in Frieden ruhen, und würde Ihnen gern von ihren glücklichen Zeiten erzählen. Und ein Letztes noch: Lassen Sie sich von Barbara nicht um den Schlaf bringen. Sie ist ein Biest — von Natur aus, nicht aus freien Stücken. Seien Sie also nicht zu hart gegen sich selbst.«
Er zwinkerte mir zu und lächelte um seine Zigarre herum. Ich dankte ihm, dass er gekommen war, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte. Dann schloss ich die Tür hinter ihm und setzte mich dahin, wo er gesessen hatte, auf das Holz, das von seinem schmalen Hintern noch warm war. Ich nippte an meinem eiswässrigen Bourbon, dachte über mein Leben nach und wünschte, der alte Mann hätte recht mit dem, was er da gesagt hatte.
Irgendwann war mein Glas leer, aber das ließ sich ändern. Auf meiner Uhr war es kurz vor fünf, und als ich aufstand, dachte ich kurz an Detective Mills. Ich hatte sie nicht angerufen, was mir in diesem Augenblick auch egal war. Ich wollte nur einen neuen Drink. Ich ging in die Küche und verschwand wieder, ohne ein Wort zu sagen, und wenn ich damit jemanden kränkte, war das Pech. Ich hatte die Nase voll. Also kehrte ich in meine klamme Zelle zurück, sah zu, wie die Schatten über den Boden krochen, und trank meinen Bourbon warm.
Ich blieb in diesem tristen Raum, bis das Licht trüb wurde und die Wände anfingen zu kippen. Ich war nicht zornig betrunken; ich wurde nicht weinerlich und begriff nicht das Geringste. Meine Jacke flog in eine Kiste mit Grasabschnitten, die ich nie geleert hatte, und meine Krawatte wickelte ich um einen Nagel an der Wand, aber meine restlichen Kleider behielt ich an, was mir schwerfiel. Ich wollte alles durcheinanderrütteln, wollte die Schüssel der
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