Der König der Lügen
Weinkeller meines Vaters. Edelstahl blinkte matt in der Küche, und ich dachte an Messer mit Ebenholzgriffen und an die blassen, schmalen Hände meiner Mutter.
Zuerst suchte ich in seinem Arbeitszimmer. Vielleicht würde ich die Waffe in der obersten Schreibtischschublade finden, bei seinem silbernen Brieföffner und dem ledergebundenen Tagebuch, das Jean ihm anstelle eines Enkels geschenkt hatte. Der Revolver war nicht da. Ich setzte mich kurz auf Ezras Sessel und betrachtete das einzige Foto, das gerahmt auf dem Schreibtisch stand: die verblasste Schwarz-Weiß-Aufnahme einer baufälligen Hütte und der ernsten Familie, die darin wohnte. Ezra war der Jüngste, ein dicker barfüßiger Junge mit schmutzigen Beinen in kurzen Jeans. Ich schaute in die schwarzen Punkte seiner Augen und fragte mich, was er an diesem Tag gedacht haben mochte. Ich nahm das Tagebuch heraus und blätterte darin; ich wusste, dass mein Vater sein geheimes Ich niemals diesem Papier anvertraut hätte, aber trotzdem hegte ich leise Hoffnung. Das Buch war leer, und ich legte es zurück. Mein Blick wanderte umher, während ich versuchte, mir irgendeinen Reim auf den Mann zu machen, den ich einmal zu kennen geglaubt hatte, doch das Zimmer sagte mir nichts. Es war prächtig mit seinen alten Landkarten, Ledersesseln und den Erinnerungsstücken eines Lebens und trotzdem so leer Das Zimmer selbst war eine Trophäe, erkannte ich, und ich sah ihn, wie er dort saß, und wusste, dass er dieses Zimmer anlächeln konnte, während seine Frau oben in dem großen Bett lag und weinte.
Auf seinem Sessel zu sitzen, gab mir ein unbestimmt inzestuöses Gefühl, und ich tat es nicht lange. Als ich sein Arbeitszimmer verließ, sah ich, dass meine Fußspuren auf dem staubigen Boden nicht die einzigen waren. Da waren noch andere, kleinere, und ich wusste, dass Jean hier gewesen war. Die Spuren führten vom Arbeitszimmer zurück in die Diele und weiter zu der breiten Treppe. Sie verschwanden im Teppichläufer und erschienen oben wieder auf dem Hartholzboden des Flurs, der zum Zimmer meiner Eltern führte. Ich war seit über einem Jahr nicht mehr oben gewesen, und die Fußspuren waren unübersehbar. Sie verschwanden auf dem Perserteppich, der den Boden im Schlafzimmer bedeckte, aber am Bett und bei dem Nachttisch, in dem ich den Revolver zu finden hoffte, entdeckte ich einen halben Fußabdruck im Staub. Ich schaute das Bett an und sah eine runde Delle in der Bettdecke — als hätte ein Tier sich dort zusammengerollt.
Ich suchte nach der Waffe und fand sie nicht. Ich setzte mich auf das Bett und strich die Delle glatt. Einen Augenblick lang saß ich gedankenverloren da. Dann stand ich auf und schlurfte auf meinem Weg hinaus mit den Füßen, um den staubigen Boden, auf dem einmal zwei Kinder gespielt hatten, zum Schweigen zu bringen.
Draußen lehnte ich mich an die verschlossene Tür und rechnete halb damit, Detective Mills mit einem halben Dutzend Streifenwagen über die Zufahrt anrollen zu sehen. Ich bemühte mich, mein Atmen zu verlangsamen; es klang sehr laut in dieser ungewöhnlich stillen Welt. Irgendwoher wehte der Duft von frisch gemähtem Gras.
Ich erinnerte mich an den Revolver meines Vaters von dem Abend her, als er auf das Gesicht meiner Mutter gezielt hatte. Als er mich dort in der Schlafzimmertür sah, versuchte er, es herunterzuspielen und so zu tun, als wäre es ein Scherz, aber das Entsetzen meiner Mutter war echt. Ich sah es an ihren tränennassen Augen, an ihrer Haltung, an der Art, wie ihre Hände am Gürtel ihres Morgenmantels zerrten, als sie mich zurück in mein Bett schickte. Ich ging, weil sie es sagte, doch jetzt erinnerte ich mich an das stille Haus und an das Knarren der Bettfedern, als meine Mutter auf die einzige Weise, die sie kannte, Frieden mit ihm schloss. In dieser Nacht begann ich meinen Vater zu hassen, aber es dauerte noch lange, bis ich die ganze Größe dieses Gefühls erfasste.
Ich habe nie erfahren, worüber sie gestritten hatten, doch das Bild verheilte niemals, und als ich mich von dem Haus abwandte, dachte ich an die Tränen meiner eigenen Frau und an ihre halbherzige Unterwerfung in der vergangenen Nacht — an die triste Genugtuung, die mir ihre Kleinheit verschafft hatte, als ich sie schamlos benutzte. Sie hatte aufgeschrien, und bei der Erinnerung an den salzigen Geschmack der Tränen dachte ich, dass ich in diesem Augenblick gewusst hatte, wie der Teufel sich fühlte. Sex und Tränen gehörten so wenig zusammen wie
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